Die Haushälterin
sie durch den Vorgarten gingen, mit schlaffen Schultern und ohne zu sprechen, gerade so schnell, wie mein Vater konnte; wahrscheinlich waren sie noch müde. Mein Vater trug seinen beigen Trenchcoat, wenngleich es ein heißer Tag werden sollte, und er sah gut darin aus, wie ein verwundeter Kommissar oder ein Mann, der sich trotz eines Beinbruchs auf Geschäftsreise begab, weil die Firma seine Klugheit nicht entbehren wollte. Ada war seine Assistentin oder seine liebste Tochter, die ihn begleiten durfte.
Sie hielt ihm das Tor auf. Er zögerte, sagte etwas, vielleicht einen Satz, den er schon oft gesagt hatte, dessen Betonung er beherrschte, über den schon andere Frauen an anderen Orten gelacht hatten. Ich mußte an den Vorabend denken, an unser Essen und daran, daß ich eigentlich wütend war. Dabei bedeutete Liebe, jemandes Freude zu teilen - das hatte meine Mutter behauptet.
Ada fuhr rückwärts aus der Garage und wartete, während mein Vater sich auf den Beifahrersitz hievte. Ich lief im Pyjama ins Wohnzimmer, legte mich auf die Couch, zog mir die Decke über den Kopf und drückte mein Gesicht ins Kissen. Es war, als offenbarte der Stoff seine Erinnerung an die Nacht - Adas Creme, ihr Parfum, einige Tropfen ihres Schweißes und dieses säuerliche Aroma, das ich aus dem Bett meines Vaters kannte, das für einige Stunden blieb, nachdem er mit einer Frau in seinem Zimmer gewesen war. Ich rollte mich zusammen und träumte einen Traum, von dem nichts blieb als ein herrlicher, unbestimmter Eindruck.
Als ich aufwachte und mich nach dem Griff des Fensters streckte, sah ich Adas Rucksack. Er stand in der Nische neben der Heizung - ein grüner Soldatenrucksack mit aufgenähten Taschen und durchgescheuerten Lederriemen.
Ich ging in die Küche, goß Milch und einen Schuß Kaffee in ein Glas, setzte mich an den Eßtisch und schlug die »Morgenpost« auf. Ada mußte den Rucksack aus Lublin mitgebracht haben, eines der Familienstücke, die nicht zu einem paßten, die man aber benutzte, weil man sie eben besaß; ich selbst hatte von meinem Vater weiße Feinrippwäsche geerbt, zwei dieser steifen Tweedsakkos und einen Morgenrock, dessen Schultern mir auf Höhe der Ellenbogen hingen.
Ich las einen Bericht über die neue Mannschaft des HSV, verlor die Zeile, blieb hängen an Wörtern, deren Sinn mir entwich. Dann betrachtete ich das Bild, auf dem die Spieler Trikots mit dem Schriftzug des neuen Sponsors trugen. In ihren Gesichtern lag Zuversicht; sogar der Masseur schien sich zu freuen, daß nun die Saison beginnen würde.
Der Rucksack war schwer. Ich stellte ihn auf den Tisch und sah auf die Uhr. Wahrscheinlich blätterte Ada gerade in einem Magazin, während mein Vater mit nackten Beinen im Verbandsraum lag. Ich löste die Riemen, nahm das fleckige Necessaire heraus, öffnete es, zupfte ein Haar aus den Zacken des gemaserten Kammes und steckte es mir in den Mund. Ich leerte den Beutel aus und küßte jeden einzelnen Gegenstand: die Puderdose, einen Tampon, ein Zopfband aus rotem Gummi, den Lippenstift, eine polnische Münze. Ich blätterte in der Bedienungsanleitung des VR674 von Philips und in einem schmalen Band mit dem Titel »Söl« von Wislawa Szymborska. Zwischen den Seiten steckte ein Brief, adressiert an jemanden in Lublin: Jurek Kieslowsky, Ulica Narutowicza 20; Adas Adresse stand links oben, Schanzenstraße 7. Ich schrieb beides auf eine Serviette, ging ins Bad und putzte mir die Zähne mit ihrer Zahnbürste.
Mit dem Tranchiermesser, das mein Vater im Römertopf versteckte, hatte ich schon Briefe an meine Mutter geöffnet, die in den Wochen nach ihrem Tod gekommen waren. Den Kuverts war nichts anzumerken, wenn man nicht ins Papier schnitt und sie mit drei, vier winzigen Tropfen Uhu wieder verschloß. Ich kannte Adas Handschrift von diesen Zetteln, die neben dem Telefon oder beim Herd lagen - »Die Polenta aufwärmen und erst dann essen!«, »Bitte um zwanzig nach sieben das Filet in den Sud legen«. Hastig geschriebene Aufforderungen, Buchstaben, deren Bäuche und Haken miteinander verschmolzen, Schlangenlinien, die Wörter sein sollten wie die Unterschrift unseres Hausarztes auf den Rezepten. Dieser Brief war vollkommen anders, scheinbar mit Bleistift vorgeschrieben und nach mehreren Korrekturen durch einen Füllfederhalter veredelt. Ich las ihn leise, dann laut, und für Momente glaubte ich, der Sinn seiner fremden Sätze könnte sich mir erschließen - »Kochany Jurek« stand da und schließlich, in
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