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Die Haushälterin

Die Haushälterin

Titel: Die Haushälterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Petersen
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schlagen konnte.
    Am Nachmittag zog sich der Himmel zu. Es war einer dieser Tage im August, an denen man spürte, daß die Herbstmonate klamm und düster werden würden. Ich nahm das Kuvert, steckte noch einen Zehnmarkschein aus meinem Sparschwein hinein, wickelte den Bronzeskorpion in Seidenpapier, ging in den Garten und pflückte einen Wiesenblumenstrauß. Gekränkten Frauen schenkte man Blumen, das hatte ich in einer Zeitschrift gelesen. Ada hatte mir erzählt, daß sie alle Blumen mochte, besonders blaue Kornblumen, von denen ein paar bei dem Holzpflock wuchsen, der das Grab des Hundes hinter den Brombeersträuchern markierte.
    Sie war nicht da oder öffnete nicht. Ich sah hoch; ihr Fenster mußte das äußere im vierten Stock sein. Ich drückte die anderen Klingelknöpfe, Makabay, Gropp, Ölmez, Schultz. Es war eines dieser Häuser, die aus der Vorkriegszeit stammten und seit Jahrzehnten keine frische Farbe gesehen hatten. Ich ging in den Hof. Beim Wäscheständer lag ein rostiges Fahrradgestell, und hinter der schmalen Holztür, die zum Kohlekeller führte, hörte ich eine Katze schreien. Ich ging zurück zur Straße, und plötzlich kam ein Typ um die Ecke, ein junger Neger, der gerade seinen Schlüssel zückte und aufschloß. Er nickte mir zu, und ich sagte »Guten Tag« und ging hinterher.
    Das Treppenhaus roch nach Schmierseife. Jemand hatte mit dickem Filzstift Flüche an die Wand gekritzelt, »Kin-derficker«, »Nazischwein«. Ich blieb vor dem Briefkasten stehen, aus dessen Schlitz Reklame von Aldi und Obi quoll, auf dessen Schild ihr Name stand, in Großbuchstaben: ADA MALIC.
    »Suchst du was?« Der Mann verschränkte seine Arme vor der Brust. Er hatte ein Gesicht wie ein Barsch und trug einen blauen Overall.
    »Ist hier eine Wohnung frei?«
    »Warum?« rief er. »Bist du abgehauen?«
    »Nicht für mich«, sagte ich. »Für meine große Schwester.«
    Ich lief zum Fenster und zurück, sah die Druckstellen im Teppich, viermal rund, viermal eckig - ihr Bett, die Böcke des Schreibtisches. Ein wenig abgerissene Tapete, dort, wo die Christusfigur an einem Streifen Tesafilm gehangen hatte.
    »Gute Wohnung«, sagte der Hausmeister. Er pfiff beim Luftholen durch die Nase. Ich wollte ihn fragen, ob Ada eine Adresse hinterlassen hatte, aber er sah auf seine verkratzte Swatch, als wäre nur wichtig, was er tun würde, sobald er wieder allein war.
    Er stieß die Tür zum Bad auf.
    »Dusche und so. Das Klo. Alles in bester Ordnung.«
    Er klappte den Deckel hoch, und ich sah, daß niemand geputzt hatte. Das Poster hing noch an der Wand, Juliette Binoche in »Blau«, einem Film, den wir im Deutschunterricht auf Video gesehen hatten. Die glänzende Oberfläche war mit feinen Zahnpastaspritzern gesprenkelt.
    Der Hausmeister brummte. Er streckte sich, pulte an einer Reißzwecke und riß das Poster von der Wand.
    »All so 'n Schiet lassen die Leute da«, sagte er.
    Dann knüllte er das Poster zusammen und stopfte es in die Tasche des Overalls.
    »Was is los«, sagte er. »Is dir schlecht? Bist ganz schön blaß!«
    »Alles in Ordnung«, sagte ich. »Vielen Dank. Sie sind sehr freundlich. Ich melde mich, ich meine ... meine Schwester meldet sich nächste Woche.«
    »Mir is das egal«, rief er.
    Ich warf die Blumen ins Gebüsch. Ich überlegte, dann ging ich zurück, schob die Zweige zur Seite, nahm den Strauß und schenkte ihn der ersten Person, die ich traf, einem großen Mann mit glänzenden Schuhen und schneeweißem Kragen - einem dieser Typen, die an Sonntagen segeln gingen und in Eppendorf, Othmarschen oder am Grindelberg junge Geliebte hatten, die in Altbauwohnungen lebten, Jura studierten und stolz darauf waren, Familienvätern einen zu blasen. Ich wußte nicht genau, ob das stimmte und was Ada damit gemeint hatte: Bliesen sie dort unten hinein, oder ähnelten sie bloß Mädchen, die mit roten Gesichtern an Geburtstagen Luftballons aufbliesen, oder Frauen, die niesen mußten? Ich hatte mich geschämt zu fragen.
    »Ich liebe sie«, sagte ich laut und wußte, wie dumm das klang, daß auch Agnieszka es dumm finden, lachen und mich wegschicken würde. Aber der Dümmste, das stand fest: Der Allerdümmste war mein Vater. Er saß mit seinem gebrochenen Bein in diesem alten Haus und legte noch immer Wert darauf, daß alle nach seiner Pfeife tanzten. Dabei wäre ich für ihn gestorben, wenn er es verlangt hätte, für einen alten Kerl, der keine Arbeit hatte und soff und weniger zu begreifen schien als sein eigener

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