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Die Haushälterin

Die Haushälterin

Titel: Die Haushälterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Petersen
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Saum des Kleides war hochgerutscht; sie zog ihn runter, zögerte, stand auf, zog das Kleid über den Kopf und warf es in den Fluß.
    Es trieb ein Stück, blieb am Ast einer schief gewachsenen Weide hängen, löste sich und trieb weiter, ein häßliches gelbes Ding, vor dem wahrscheinlich die Fische erschraken.
    16
    Ich hockte am Tor, die Straße im Blick, horchte, ließ Kieselsteine rieseln und rupfte Moos aus den Fugen der Pfosten. Schließlich lief ich zur Bushaltestelle in der Drosselgasse. Ich stand den ganzen Nachmittag da, der 256er kam zwölfmal. Von weitem entdeckte ich durch die Scheiben ihren Zopf, ihr Gesicht und die Bluse. Dann schwangen die Türen auf, und Männer mit langem Haar stiegen aus, blasse Kinder, Greisinnen.
    Sie kam nicht, weder Freitag noch Samstag - Daten, deren schmale Felder auf dem Kalender mein Vater mit je einem grellroten »A« versehen hatte. Er stampfte durchs Haus, schlug Nägel in die Wände und hängte Ölbilder auf, die mein Großvater nach der Schlacht bei Charkow gemalt hatte. Ich spannte die Muskeln an, bereit, mich zu ducken und wegzurennen, sobald er in meine Nähe kam.
    Am Abend rief er bei ihr an und reichte mir den Hörer rüber: »Kein Anschluß unter dieser Nummer.« Er ließ das Telefon in Reichweite neben dem Ohrensessel stehen. Zur Nacht nahm er es mit in sein Zimmer, am Morgen prüfte er vor dem Frühstück das Kabel und den Stecker.
    »Arschloch!« schrie er, als jemand sich verwählt hatte.
    Dann suchte er Spuren. Er stocherte mit einem Besenstiel unter dem Sofa herum, humpelte durch die Rosenbeete und verteilte den Inhalt des Mülleimers auf dem Küchentisch. Doch zwischen triefendem Kaffeesatz, verfaultem Gemüse und Zeitungspapier fanden sich nur die Quittung des gelben Kleides und Zigarettenstummel, Marke Christal lights, mit Lippenstift am Filter. Schließlich schälte er Apfelsinen und beleckte die Schnitze, bevor er sie in den Mund schob, als wären sie spitz oder bitter. Er starrte aus dem Fenster, der Saft lief an seinem Kinn herunter.
    Ich stellte mich vor ihn, sagte etwas, aber er sah durch mich hindurch, rieb sein Bein, atmete schwer, und schließlich glaubte ich, daß alles meine Schuld war.
    Am Montag ging ich nicht in die Schule. Ich hatte kaum geschlafen. Um acht klopfte er an die Tür meines Zimmers. Er kam herein, hob die Decke hoch, sah mich an und nickte.
    »Ist in Ordnung«, sagte er. »Ich schreib dir eine Entschuldigung.«
    Da ich das Einkaufen nicht mehr gewohnt war, sah ich im Keller nach. In der Gefriertruhe lag nur ein eisverkrusteter Beutel Rote Grütze. Ich nahm die letzte Dose Grünkohl aus dem Regal, ging in die Küche, fingerte zwei verschrumpelte Wiener Würstchen aus dem Müllsack und wärmte sie im Kochtopf auf. Die Hitze ließ das Fleisch quellen, die Haut wurde glatt und platzte. Als wir aßen, sah ich rüber zu Adas leerem Stuhl. Dann sah ich meinen Vater an und dachte an die Jahre, die vor uns lagen, bis ich einmal wegziehen würde.
    »Schmeckt ganz gut«, sagte er und sah in den Topf, der schon leer war. In seinem Mundwinkel hing ein faseriges Grünkohlblatt.
    »Ich fahre hin«, sagte ich.
    Er brummte, schob seinen Teller weg, nahm eine Serviette und schnäutzte hinein. Ich konnte sehen, daß er überlegte. Seine Augen waren klein. Die Farbe änderte sich; vielleicht bildete ich mir das ein, aber meist waren sie blau, und dann waren sie plötzlich grau, je nach Licht.
    »Die mittlere Schublade«, sagte er und wies mit dem Kopf zum Sekretär.
    Ich ging hin und sah hinein. In der Schublade lagen Te-safilmrollen, Bleistifte und ein brauner Umschlag.
    »Das ist ihr Wochenlohn« sagte mein Vater. »Sie hat ihn liegengelassen.« Er malte mit dem Zeigefinger Kreuze auf das Tischtuch.
    »Am besten nimmst du ihn mit.« Er griff in seine Hosentasche, zog den Geldbeutel heraus und warf ein paar Markstücke auf den Tisch.
    »Für den Fahrschein.« Er rieb sich das Kinn und sah durchs Fenster nach draußen.
    »Sag ihr, daß ...« Er zuckte die Schultern. »Du weißt schon. Sag einen Gruß.«
    Vier frische, blaue Scheine waren eine Menge Geld. Ada hatte zehn Stunden pro Woche bei uns gearbeitet, das waren vierzig Mark pro Stunde »auf die Pfote«, womit mein Vater meinte, daß man das Finanzamt beschiß; ich hatte zwanzig Mark pro Stunde mit ihr ausgemacht, er hatte diesen Betrag verdoppelt. Für meinen Vater entsprach der Wert der Dinge ihrem Preis, und ich fragte mich, wie er jemanden, dessen Preis so hoch war, einfach ins Gesicht

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