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Die Haushälterin

Die Haushälterin

Titel: Die Haushälterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Petersen
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gestürmt.
    »Spinnt ihr«, schrie er. Er hatte kein Hemd an.
    Agnieszka lag zwischen uns auf dem Parkett, sie hielt ihr linkes Ohr. Auf dem Kragen des Bademantels erschien ein dunkler Blutfleck. Pavel griff ihr unter die Achseln und half ihr auf die Füße.
    »Alles in Ordnung«, sagte sie und legte die Hand auf seine Brust. »Er ist ein Kind. Ich habe ihn erschreckt.« Sie strich ihm über die Wange, sah zu mir rüber und winkte ab.
    »Unmöglich, oder? Beruhigen wir uns.«
    »Ich wollte nur wissen, wo Ada ist«, rief ich.
    Pavel sah Agnieszka an.
    »Dumme Kuh«, sagte er. Dann kam er auf mich zu. Die Haare auf seiner Brust waren naß, er roch nach Schweiß und Badesalz.
    »Sie ist daheim«, sagte er. »Hau jetzt ab, sonst setzt's was.«
    Ich rannte die Treppe runter. Ich dachte, daß ich Agnieszka vielleicht den Schädel gebrochen hatte.
    Vor dem Haus stand eine Frau mit einer leeren Kinderkarre. Sie lächelte, und ich hielt ihr die Tür auf.
    »Du bist freundlich«, sagte die Frau. »Darf ich du sagen?«
    Ich nickte und dachte, daß Agnieszka Ada alles erzählen würde. Auf der anderen Straßenseite fuhr gerade der Bus ab. Ich stellte meinen Fuß in die Haustür und wartete, bis die Frau mit der Karre im Durchgang zum Hinterhaus verschwunden war. Dann schlich ich wieder die Treppe rauf, kniete mich auf die Fußmatte und drückte mein Ohr an den Briefschlitz. Ich konnte hören, wie sie stritten, Agnieszkas grelle Melodie und Pavels Begleitung -»Nein« und »Doch« und »Halt deine blöde Klappe«.
    Im Umschlag steckte noch der Zehnmarkschein aus meinem Sparschwein. Ich wollte etwas draufschreiben, »Entschuldigung« oder »Verrat mich nicht«, aber ich hatte keinen Stift. Schließlich hielt ich den Atem an, faltete den Schein zusammen und schob ihn unter der Tür durch.
    17
    Nachdem ich meinem Vater einen Teil der Geschichte erzählt hatte - er sagte, er wisse nun auch nicht weiter und daß man abwarten müsse -, ging ich in mein Zimmer, setzte mich aufs Bett, löste die Knöpfe des Kissenbezugs und zog die Serviette heraus. Als mein Vater auf dem Klo war, rief ich die Auslandsauskunft an, faltete die Serviette auseinander und flüsterte »Lublin, Ulica Narutowicza 20« in den Hörer. Ich schrieb die Nummer auf meine Hand, legte auf, hob wieder ab und wählte. Ein Knacken, kurze Zeit nichts und dann, dumpf, das Freizeichen. Ich spürte mein Herz hämmern.
    »Klopapier«, rief mein Vater.
    »Warte«, rief ich. »Gleich.«
    Ich zählte, drei - vier - fünf. Jemand meldete sich, ein Mädchen oder eine Frau, durch die Leitung klang die Stimme kratzig und elektrisch. Ich konnte mir unmöglich vorstellen, wie alt sie war, zwanzig, fünfzig. Ich wollte sie fragen, aber ich kannte nur diesen einen polnischen Satz, der nicht half. Ich hörte sie atmen; es war, als brandeten kleine Wellen an mein Ohr. Sie sagte noch ein einzelnes Wort, das nach Bedauern klang, und ich sagte »Ada?« und erschrak, und dann lauschten wir beide dem Knistern, das die Relaisstationen erzeugten oder die Satelliten.
    »Klopapier!«
    Ich zuckte zusammen und drückte auf die Gabel. Dann lief ich raus, setzte mich an den Fluß und küßte den Rasen, die Stelle, wo sie gelegen hatte. Ich wälzte mich im Gras und preßte die Hände auf die Ohren, als mein Vater das Fenster aufriß, schimpfte und mit den Armen fuchtelte wie eine dieser Handpuppen aus dem Kasperletheater.
    Ich sprach nicht mehr mit ihm. Ich sprach mit niemandem mehr, zumindest nicht über Dinge, die mich interessierten. In der Schule meldete ich mich während jeder Stunde zweimal, sagte etwas Richtiges - das war nicht schwer, wenn unter der Bank ein aufgeschlagener dtv-Atlas lag -und schaffte es so, von den Lehrern in Ruhe gelassen zu werden.
    Während der Pausen ging ich auf dem Parkplatz auf und ab. Madame Sauvage war in jener Woche zur Aufsicht eingeteilt. Wenn sie vorbeikam, erzählte ich ihr, daß ich auf jemanden wartete, und sah ihr zwischen die Augen, bis sie nicht mehr weiterfragte und ihre Runde fortsetzte. Ich hockte mich zwischen die Fahrräder und rauchte Zigarillos. Es gab eine Menge Fahrräder, manche mit Plastiktieren und Windrädern an den Lenkern, andere mit Shimano-Bremsen und pneumatischen Rock-Shox-Gabeln, deren stählerne Sicherungsbügel vermutlich mehr gekostet hatten als manche der rostigen Pandas und Fiestas auf dem Lehrerparkplatz.
    Einmal kam ein dicker Typ mit einer Sporttasche vorbei. Ich stand gerade hinter der alten Birke und ritzte ein Gedicht in den

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