Die Haushälterin
Am Rand des Sachsenwaldes begegneten sie einem Wildschwein, erlegten es - »auf Krücken und mit bloßen Händen«, rief Herr Augustin und hielt seine dürren Finger hoch. Am gleichen Abend tauschten sie in der Stadt ein paar Pfund Schweinefleisch gegen Tabak, Wäsche und ein Holzbein. Es war ein Stück zu lang gewesen. Herr Augustin besaß keine Säge, er hatte gar nichts mehr besessen, nur seinen Willen, seinen Mantel, einen durchgelatschten Stiefel und dieses überlange Stück Holz. Man gab ihm die Adresse eines greisen Restaurateurs; er humpelte dort vorbei und legte das Bein auf den Ladentisch. Die beiden kamen ins Gespräch, der Restaurateur fand Gefallen an ihm und ließ ihn fortan die Drechselbank in seinem Werkraum bedienen.
»Dolle Geschichte«, sagte mein Vater.
»Warten Sie«, sagte Herr Augustin. »Es kommt noch besser!«
Ich ließ die beiden allein. Vielleicht war Herr Augustin einer unserer früheren Nachbarn, oder er hatte irgend etwas mit der HEW zu tun. Er gefiel mir nicht, zumal er nach ranziger Butter roch. Ich stellte mir vor, wie er im Wald auf einem Bein einen Keiler verfolgte, sich auf ihn warf, die Stoßzähne packte und ihm das Genick brach. Dann fiel mir ein, daß mein Vater sich langweilen mußte, daß er sich während der letzten Tage Mühe gegeben hatte und daß es richtig wäre, wenn ich mich dazusetzte.
Sie waren in den Keller gegangen. Mein Vater hatte das Licht angeschaltet; sie standen vor Großvaters altem Schreibtisch. Herr Augustin öffnete die Schubladen und zeigte auf einen Wasserfleck. Mein Vater erklärte ihm, wie er im Winter nach unserem Rohrbruch alles getrocknet und im Sommer die Holzwurmlarven mit Xylamon vertrieben hatte.
»Selbst wenn er schadlos wäre«, sagte Herr Augustin und strich mit der Hand über die Tischplatte, »könnte ich Ihnen nicht mehr als vierhundertfünfzig dafür geben.«
»Sehen Sie sich die Arkaden an«, sagte mein Vater und ging in die Knie, als wollte er den Tisch beschwören, ein Geheimnis zu offenbaren.
»Aufgeklebt«, sagte Herr Augustin. »Ein Stilbruch, wenn auch dezent.«
Seine Augen funkelten. Etwas war passiert. Er hatte sich von dem alten Kerl, der seine Geschichten zum besten gab, in einen Richter verwandelt; mein Vater kniete zu seinen Füßen und wartete auf das Urteil.
»Vierhundertachtzig«, sagte Herr Augustin.
Seine Weste war hochgerutscht; ich sah seine Hosenträ-ger. Er zog ein fusseliges Bonbon aus der Tasche und steckte es sich in den Mund.
Ich versuchte, meinem Vater ein Zeichen zu geben; ich wollte, daß er aufstand und Herrn Augustin ins Gesicht sah.
»Man riecht die Feuchtigkeit noch«, sagte Herr Augustin.
»Es ist nicht leicht, hier unten zu lüften«, sagte mein Vater und zuckte die Schultern.
»Darf ich die Chaiselongue sehen?«
Endlich stand mein Vater auf.
»Kommen Sie«, sagte er. »Kommen Sie mit in den Arbeitsraum.«
Ich folgte ihnen durch die Waschküche. Mein Vater hielt einige Handtücher und Unterhosen beiseite, die Ada kreuz und quer über die Plastikleinen gehängt hatte.
»Tut mir leid«, sagte er. »Die Haushälterin hat gewaschen.«
»Fleißig«, sagte Herr Augustin, duckte sich und streckte seinen zitternden Arm nach meinen gestreiften Shorts aus.
»Hier«, sagte mein Vater. Er schloß die Tür zum Arbeitsraum auf und schaltete das Licht an.
Über den Duft der Wäsche legte sich Lösungsmittelgeruch. Zeitungen und fleckige Plastikfolie bedeckten den Boden. Die Chaiselongue stand mit frisch bezogenem Polster in der Mitte des Raumes, jeder ihrer Füße auf einem vergilbten Band des Konversationslexikons meines Großvaters. Auf einem kleinen Schemel lagen eine Dachshaarbürste, eine Dose Wachs und ein angebissenes Käsebrot.
Mein Vater führte Buch über den Verschleiß des Zubehörs. Manchmal fuhr er zum Baumarkt und zum Geschäft für Künstlerbedarf, um die leeren Haken, Kästen und Laden wieder zu füllen. Nach dem Tod meiner Mutter hatte er nächtelang in dem kleinen Raum gesessen, im Schneidersitz auf einem Kissen am Boden. Wenn ich ihm Trockenpflaumen und ein Glas Wasser brachte, brannte ein Teelicht, und aus dem Schalltrichter seines alten Grammophons kamen eine gregorianische Motette oder das Ave Maria.
Herr Augustin räusperte sich und ging um die Chaiselongue herum. Mein Vater steckte seine Hände in die Hosentaschen, zog sie wieder heraus, strich sich über die Oberlippe und rückte seinen Kragen zurecht.
»Das ist nach meinem Verständnis Trödel«, sagte Herr Augustin.
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