Die Haushälterin
fertiggeraucht. Sie sah zu uns rüber und winkte. Mein Vater winkte zurück.
»Sie hält ihre Leute über Wasser, und wir sorgen für sie«, sagte er.
Ich fragte mich, warum Ada ihm das alles erzählt hatte, Dinge, die sie vor mir geheimhielt.
»Komisch«, sagte ich. »Als ob man irgendwo noch eine zweite Familie hätte.«
»So kann man das sehen«, sagte mein Vater, aber ich spürte, daß ihm der Vergleich nicht gefiel.
Eine Woche später steckte ein großer Umschlag im Briefkasten. Adas Name stand mit Filzstift über unserer Adresse geschrieben. Es waren die Gedichte, die sie übersetzt hatte. Der Verlag im Schanzen viertel hatte sie abgelehnt. Der Verleger war mit Ada ins Schauspielhaus gegangen, hatte sie zu Shrimps und Chablis ins Rive eingeladen, ihr sonstwas versprochen, und nun saß sie im Schneidersitz auf der Couch und las mir die Absage vor, sechs maschinengeschriebene Zeilen, darunter die Unterschrift des Verlegers: »Herzlich, Dein Markus«.
Sie zerknüllte den Zettel und warf ihn auf den Boden. Dann knallte sie den Stapel mit den Gedichten auf den Tisch, steckte sich eine Zigarette an und sagte »Scheiße«. Ich hatte sie bis dahin noch nie fluchen gehört.
Am Abend nahm sie das Telefon und ging ins Klavierzimmer. Sie schrie auf polnisch; ich hörte es durch die geschlossene Tür. Später kam sie raus und stellte das Telefon zurück, und an ihrer zerlaufenen Wimperntusche sah ich, daß sie geweint hatte.
»Du weißt doch«, sagte mein Vater. Er saß in seinem Sessel. »Henry Miller hat eine Zeitlang Reste aus dem Abfall gegessen. Sag das deinem Jurek. Er muß noch einiges lernen! Komm, trink erst mal ein Bier.« Er deutete auf den Sessel. »Es gibt ein schönes Sprichwort von Hermann Hesse, kennst du das? Ich habe einen Aufsatz darüber geschrieben, als ich so alt war wie der da.« Er nickte in meine Richtung. »Was der Künstler sich wünscht, ist ja nicht Lob, sondern Verständnis für das, was er angestrebt hat, einerlei, wieweit sein Versuch gelungen sei.« Er lachte. »Ich schreib es dir auf. Dann kannst du es übersetzen und deinem Jurek schicken. Ach, und Helmut Schmidt hat gesagt .«
Ada wandte sich ab. Sie lief hinaus und knallte die Tür zu.
21
Ich kaufte fürs Wochenende Konserven, Brot und Äpfel und trug vom Supermarkt zwei große Tüten nach Hause. Vor unserem Gartenzaun stand dieser fremde Wagen, ein schwarzer Volvo Kombi mit einer Schramme im hinteren Kotflügel. Auf dem Beifahrersitz lagen zwei Päckchen Pfeifenputzer und ein Filzhut mit breiter Krempe.
Als ich die Haustür aufschloß, hörte ich, wie mein Vater sich mit jemandem unterhielt. Ich stellte die Tüten ab, wusch mir in der Küche die Hände, nahm eine Fernsehzeitschrift aus der Kiste für Altpapier und tat, als wollte ich sie im Wohnzimmer auf den Couchtisch legen.
»Ach«, sagte mein Vater. »Das ist mein Sohn.«
Auf dem Sofa saß ein Mann. Er war viel älter als mein Vater, an seiner Stirn sah ich einige dieser gallefarbenen Flecken. Er hatte kleine Augen und eine aufgetriebene Nase mit ziemlich großen Poren, und an seiner Weste baumelte die Kette einer Taschenuhr. Vor ihm standen der Süßstoffspender und eine geblümte Tasse. Vor meinem Vater stand ein Bierglas; er hatte es mit Wasser gefüllt.
Ada und ich hatten sämtliche Bierkästen in den Vorgarten geschleppt, sie ins Auto geladen und zum Getränkemarkt gebracht. Der Besitzer, mit dem mein Vater zwei Semester studiert und während der Freistunden in der Mensa Backgammon gespielt hatte, zahlte sogar den Kauf preis zurück. Was an Schnaps in der Küche stand -Kümmel, Aquavit, Wacholder und ein verstaubter Brandy aus dem Bestand meines Großvaters -, hatten wir in den Ausguß gekippt und die Flaschen zum Altglascontainer gebracht.
»Guten Tag«, sagte der Mann. Er drückte sich vom Sofa hoch und ließ sich gleich wieder zurückfallen.
»Das ist Herr Augustin«, sagte mein Vater. »Er ist wegen der Möbel da. Er war gerade mitten in einer Geschichte. Erzählen Sie weiter, Herr Augustin.«
Ich wußte nicht, was für Möbel mein Vater meinte.
Herr Augustin sprach langsam, riß die Augen auf, wiederholte einzelne Wörter. Es schien schon seit einiger Zeit so zu gehen. Mein Vater preßte die Lippen zusammen und unterdrückte ein Gähnen.
Während des deutschen Rückzuges war Herr Augustin irgendwo am Ufer des Dnjepr auf eine Mine getreten und hatte sein Bein verloren. Wochen später hatte er sich mit ein paar Gefreiten auf den Weg nach Hamburg gemacht.
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