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Die Haushälterin

Die Haushälterin

Titel: Die Haushälterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Petersen
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ihn fliegen«, hatte er gerufen.
    Dann war er vor mir her an der Böschung entlanggerannt, hatte den Helikopter über die Köpfe der Schafe sausen lassen und sich vor Lachen ins Gras geworfen. Später hatte er die getrockneten Schafsködel mit einem Teelöffel von seinem Trenchcoat gekratzt, naßgeschwitzt und grinsend.
    Ich schloß mich im Bad ein und suchte. Als er in den Keller ging, sah ich in seinem Zimmer nach, im Schrank und in der Kommode - die Zähne waren verschwunden.
    Ich hörte ihn unten wühlen und fluchen. Nach einer halben Stunde, ich preßte gerade Orangen aus, kam er mit einer angerosteten Moulinex-Maschine unter dem Arm in die Küche; früher hatten die stämmigen Frauen der Arbeiterwohlfahrt mit dieser Maschine das Essen meines Urgroßvaters zu Brei gequirlt.
    Den Morgen verbrachten wir vor dem Fernseher. Ich beobachtete meinen Vater von der Seite; als er es merkte, tat ich, als würde ich aus dem Fenster starren.
    Beim Mittagsmagazin begann er plötzlich zu schmatzen.
    »Ich ruf den Zahnarzt an«, sagte ich und stand auf.
    »Laß gut sein«, sagte er und sah mich an mit diesem Blick.
    »Okay«, sagte ich und stellte das Telefonbuch zurück ins Regal. »Kann ich irgendwas machen.«
    »Ruh dich aus«, sagte er. »Du hast ein langes Schuljahr gehabt.«
    Er beugte sich zur Seite und stellte eine leere Flasche König Pilsener in die Nische neben der Heizung, dann sank er zurück in den sandfarbenen Ohrensessel. Früher hatte mein Großvater darin gesessen. An seinem achtzigsten Geburtstag hatte er mich herangewinkt und meine Schultern zwischen seine fleckigen, knochigen Hände genommen, die aussahen wie die Tiefseespinnen aus dem Was-ist-was-Band »Meereskunde«.
    »So«, hatte er gesagt, mehr nicht.
    Ich hatte ihn angesehen und gewartet. Er hatte sich die Lippen geleckt und dabei gesummt wie ein Insekt.
    Ein paar Wochen später stand der Sessel in unserem Wohnzimmer. Im Polster hatte mein Großvater einen schimmernden Abdruck hinterlassen. Mein Vater war in den Keller gegangen, hatte Wachs erhitzt und damit das Birnbaumgestell poliert. Ich fragte mich, wann die abgewetzten Bezüge zu Staub zerfallen würden.
    »Wir könnten ein bißchen arbeiten«, sagte ich.
    Wir hatten uns vorgenommen, das Treppengeländer zu streichen, eine Chaiselongue zu entwurmen, die Silberfischlöcher im Teppich zu stopfen, die Dusche frisch zu verfugen und eine verchromte Dachrinne anzubringen.
    »Fahr in den Süden«, sagte mein Vater. »Jetzt sind Ferien.«
    Er blätterte in der Fernsehzeitschrift. An seinen reglosen Augen sah ich, daß er betrunken war.
    »Hier ist ein Artikel über den Peloponnes. Man kann das >Theater von Epidauros< entdecken ... da gibt es gebratene Tintenfische und Auberginen in Essig und Öl< ... Flüge nach Kalamata sind gerade ziemlich günstig.«
    Er sprach, als glaubte er nichts von dem, blätterte vor und zurück, hielt die Lippen geöffnet wie einer, den der Schlag getroffen hat. Draußen zogen Wolken auf, Vorboten eines Sommergewitters. Schon liefen dünne Wasserfäden an den Fenstern herab.
    Ich wollte nicht in den Süden fahren. Ich wollte nirgendwo hinfahren. In der Küche begann das Geschirr zu stinken. Die Zeitschriften auf dem Wohnzimmertisch, deren Anordnung sonst System hatte - die neuesten obenauf, parallel zur Tischkante ausgerichtet, jeder Adreßaufkleber sorgfältig entfernt -, diese Zeitschriften lagen teils auf dem Sofa, mit eingerissenen, von heißen China-Food-Styroporschalen gewellten Umschlägen, die Seiten befleckt mit getrockneter Sojasauce, teils lagen sie zerfleddert auf dem Fußboden; von der Juliausgabe des »Journal of Modern Physics« war nur das Titelblatt übrig, während ihr Abonnent, der gern in die Bretagne fuhr, um seine schwachen Bronchien an salziger Luft zu kurieren, mit zitternder Stimme eine staubige Halbinsel im Süden Griechenlands lobte.
    »Ich geb dir das Geld«, sagte er. »Andere Jungen wären froh.«
    »Der Süden interessiert mich nicht.«
    »Was hast du schon wieder«, sagte er.
    »Nichts. Alles in Ordnung.«
    Ich ging in die Küche, schrubbte pelzige Reste von den Tellern und räumte einen Teil des Geschirrs in die Spülmaschine. Dann nahm ich aus dem Hängeschrank das in Leder gebundene Buch, in dem meine Mutter Skizzen gemacht und Rezepte gesammelt hatte. Ihre Handschrift war fein, mit zarten Bögen und Punkten, die dünne Schweife aus Tinte trugen wie winzige Kometen. Als ich blätterte, fielen getrocknete Kornblumen auf den Boden; ich hob sie

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