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Die Haushälterin

Die Haushälterin

Titel: Die Haushälterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Petersen
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den Schweiß von seiner Stirn. Das Glas seiner Omega-Uhr war zerbrochen, ein Zeiger wies Richtung Decke. Auf seiner Nase wuchsen Haare - ich sah sie zum ersten Mal -, Haare wie die seiner Koteletten, silberbraun und starr.
    Plötzlich zuckte sein Bein. Ich rannte nach oben, riß den Hörer ans Ohr und wählte eins-eins-null. Die Leitung war tot, ich legte auf, hob wieder ab: das Freizeichen. Ich wählte wieder, falsch diesmal. Ich rannte auf die Straße und schrie.
    5
    Sein Körper ruckte, als wir über das Kopfsteinpflaster am Pfingstberg rasten. Die Sanitäter hatten ihn mit Gurten auf die Liege geschnallt; ich hielt seine blasse Hand. Der blutverschmierte Kopfverband war ihm über die Augen gerutscht. Wenn er stirbt, dachte ich, aber ich zwang mich, nicht weiterzudenken, als könnte ihn das am Leben halten. Am Rand der beschlagenen Atemmaske rann sein blasiger Speichel herab; ich fing ihn auf und wischte meine Finger am Hosenbein trocken.
    Sie behielten ihn bis zum späten Abend im Operationssaal. Ich saß am Empfang bei der Telefonistin und zuckte zusammen, sobald Geräusche vom Ende des Ganges kamen, zitterte, als verschwitzte Gestalten mit gesenktem Blick Funkempfänger in die Buchsen der Ladegeräte steckten, bevor sie Richtung Ausgang schlichen; sie waren wie Krieger auf dem Rückzug nach einer verlorenen Schlacht. Dann holte mich ein Pfleger ab und fuhr mit mir im Fahrstuhl nach oben. In seiner Tasche steckte ein dünnes Buch von Georges Simenon, und an seiner Brust war ein schmaler Streifen Stoff eingenäht, auf dem in schwarzen Buchstaben »Mlatko Josic« stand. Ich mußte meine Hände waschen und in einen Kittel schlüpfen. Der Mann, der Mlatko Josic hieß, drehte mich herum und knöpfte mir den Kittel hinten am Rücken zu.
    »Komm, brazo«, sagte er.
    Mein Vater lag in dem dunklen Zimmer am Ende des Korridors, umgeben von einem Gestrüpp aus Schläuchen und leuchtenden Monitoren. Ich ging einen Schritt auf das Bett zu, dann noch einen, und als ich vor ihm stand und das verkrustete Blut an seinen Wimpern sehen konnte, berührte ich seine Hand. Metallstangen ragten aus seinem Bein wie silberne Mikadostäbe. Er schlief mit offenem Mund, und es war still im Raum bis auf seinen Herzschlag, ein elektrisches Piepsen. Ein hohes C, dachte ich.
    Ich besuchte ihn jeden Tag. Wenn ich kam, hob er die Hand zum Gruß und nickte mir zu. Dann stellte ich einen Stuhl ans Bett, setzte mich hin und trank eine Tasse Kamillentee oder Leitungswasser. Wir sprachen nicht viel, meist starrte er zur Leuchtstoffröhre an der Decke. Manchmal schob ich den Kopfverband hoch, der ihm über die Augen rutschte, sobald er sich bewegte; seine ausgetrockneten Lippen formten dann ein tonloses »Danke«. Nachmittags kam Mlatko Josic, um den Inhalt des Plastikbeutels, dessen Schlauch nach zwei Windungen unter der Bettdecke verschwand, in einen Eimer abzulassen und immer die gleichen Fragen zu stellen: ob mein Vater Schmerzen habe, ob er Wünsche habe. Mein Vater zuckte nur die Schultern.
    Oft saß er auf der Pfanne mit dem langen Griff; er litt an Verstopfung und mußte dagegen diesen hellen Sirup trinken. Einmal, als er gerade schlief, goß ich ein bißchen davon in den Meßbecher. Ich roch, nippte, lief zum Waschbecken, spuckte aus und spülte sofort mit Mundwasser nach. Wenn Mlatko Josic die leere Pfanne hervorzog, schwenkte er sie, als wollte er ein Spiegelei wenden, zeigte auf die Sirupflasche und zog seine Stirn in Falten.
    »Immer schön trinken«, sagte er.
    »Ja«, sagte mein Vater und zupfte am Ärmel des hellgrünen Nachthemds.
    Mlatko Josic zwinkerte. Mein Vater zwinkerte zurück, führte den Meßbecher an die Lippen, schluckte, wandte den Kopf zum Fenster, sah hinaus und grinste, obwohl am Himmel nur ein paar Vögel und der Schweif eines Jagdflugzeugs waren.
    Einmal räumte ich Unterwäsche in den Schrank, als Mlatko Josic das Frühstück brachte - Brötchen mit Dosenleberwurst und einer trockenen Käsescheibe. Er und mein Vater zogen Gesichter, als hätte man sie mißhandelt; dann lachten sie. Mein Vater legte den Käse auf sein Brötchen, kratzte mit der Messerspitze die Reste aus der Leberwurstdose, aß, befeuchtete einen Finger mit Spucke und pickte die Krümel vom Teller, ein Leuchten in den Augen.
    Am dritten Tag saß ich dem Professor in seinem Büro gegenüber. Er schob einen Teller mit Butterkeksen in die Mitte des Schreibtisches. Neben dem Telefon standen gerahmte Photographien: Der Professor mit Michael Stich, der

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