Die Haushälterin
Uhr morgens im dunklen Flur, in unseren Pyjamas; ich dachte an seine nackten Füße, an sein Brusthaar oben am Kragen, und plötzlich war er nicht mehr mein Vater, sondern ein Fremder, und ich wollte weg, zurück in mein Zimmer, durchs Fenster nach draußen und über den Zaun.
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Er hatte das Bad belassen, als lebte meine Mutter noch. Ihr Lou Lou von Cacharel, der rosa Kamm auf der Ablage, kleine weiße Handtücher fürs Gesicht. Sogar ein Päckchen Always Ultra lag noch im Schrank über dem Waschbecken - abgepackt 1987, stand auf der Seite zu lesen. Hin und wieder kamen Frauen und benutzten diese Dinge. Der Spiegel im Parfumflacon sank, in den Zacken des Kammes hingen lange Haare, die Handtücher trugen graue Spuren. Manchmal lag im Mülleimer zerknülltes Papier mit dem Always-Schriftzug.
Da war die Verkäuferin der Schuhboutique am Rathausmarkt. Im Schaufenster hingen Wildlederboots an Nylonschnüren von der Decke, gehüllt in dünne Pelze aus Staub. Zwei der leuchtenden Buchstaben über der Eingangstür waren durchgebrannt: SCH - - BOUTIQUE. Als sie das erste Mal in unser Haus kam, brachte sie einen kleinen Beutel Paranüsse mit, den sie mir mit hochgezogenen Brauen überreichte. Wenn ich am Rathausmarkt vorbeikam, lief ich hinter den Kirschbäumen auf der anderen Seite entlang, um ihren Blicken zu entgehen.
Diese Frau stand eines Morgens in unserer Küche, in einem Morgenrock meines Vaters, zwinkerte und prostete mir mit Orangensaft zu. Sie ging zum Fernseher und schaltete ihn ein, setzte sich in den Ohrensessel, schlug die Beine übereinander und trank in aller Ruhe den Saft. Ich setzte mich zu ihr und sagte etwas über das Wetter, eine Sache, mit der Erwachsene sich oft beschäftigten. Aber sie antwortete mir, wie man einem Kind antwortet; ich spürte, daß sie versuchte, besonders freundlich zu sein. Ich wandte mich dem Fernseher zu und schielte dabei auf ihre Füße. Sie hatte krumme Zehen, dunkelrot lackierte Nägel und ein großes Hühnerauge.
»Mögen Sie Stiefel?« fragte ich.
»Stiefel?« sagte sie und zog ein überraschtes Gesicht.
»Stiefel sind toll«, sagte ich. »Man kann sie zu jeder Gelegenheit tragen. Sie nehmen sogar dem Outfit vom letzten Jahr das Tussihafte.«
Ich hatte den Satz in der »Zeit« gelesen, in einem Interview mit Wolfgang Joop. Sie sah mich eine Weile an, dann sagte sie etwas Dummes, etwas völlig Unpassendes. Ich mußte raus aus dem Wohnzimmer. Ich konnte sie nicht ertragen, ihr Lächeln, die nackte Haut ihrer Beine und die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich in unserer Küche bediente. Trotzdem gefiel mir etwas an ihr, vielleicht die Tatsache, daß meine Abneigung sie nicht zu stören schien, aber da war noch etwas anderes - das Lou Lou meiner Mutter.
»Ich putz mir die Zähne«, sagte ich und ließ sie im Wohnzimmer allein.
Unter dem Hocker in der Garderobe standen ihre Pumps. Ich wog den linken in meiner Hand, strich mit dem Finger am Absatz entlang, spielte mit den Riemen und roch - ein bißchen Leder, ein bißchen Schuhcreme und dieses seltsame Menschenaroma, anders als meines, anders als das meines Vaters. Ich glaubte, dieses Aroma konnte nur vom Fuß einer Frau stammen, aber ich hatte keinen Vergleich; was meine Mutter an Strümpfen und Schuhpaaren hinterlassen hatte, roch mittlerweile nach Dachboden. Ich holte ein Brotmesser aus der Küche und suchte in meinem Zimmer den Klebstoff, der zum Basteln gedacht war. Ich nahm die Schuhe mit ins Bad, ließ das Wasser laufen, schnitt mit dem Messer die Absätze ab und klebte sie wieder an die Sohlen.
Wir liefen dann ein Stück zusammen, sie zum Bus, ich zum Markt. An der Haltestelle sagte ich »Tschüs«, sie sagte »Ciao« - wieder ihr bemühter Blick, diese Freundlichkeit. Ich bog um die nächste Ecke, blieb stehen, ging ein Stück zurück, duckte mich hinter den Altglascontainer und sah ihr beim Warten zu.
Sie stand einfach da, in der Entfernung kaum größer als meine Fingerkuppe, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie ging zum Fahrplan, sah auf die Uhr, wippte von einem Bein auf das andere, eine nervöse Frau an einer Bushaltestelle. Ich hatte diese Sendung über ein Mädchen gesehen, das in London Schuhe bei John Lobb verkaufte: morgens die Fahrt zur Arbeit, sieben Stunden herumstehen mit entspanntem Gesicht, eine Stunde Gespräche führen: paßt wie angegossen, aber probieren Sie noch den hier, der ist ein bißchen teurer, die Verarbeitung, Sie verstehen. Abends Kartoffeln kochen an einem kleinen Herd in
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