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Die Hebamme von Venedig

Die Hebamme von Venedig

Titel: Die Hebamme von Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberta Rich
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war so blass, dass sie fast durchsichtig wirkte. Um das Bett herum verlief ein Kreis aus Salz, der Mutter und Kind vor dem bösen Blick schützen sollte. Das war zweifellos Giovannas Werk und würde sicher auch gegen Lilith helfen, die Mörderin der Neugeborenen. Hannah wünschte, sie hielte ihren Schaddai in Händen, der in ihrer Tasche auf dem Sessel lag. Wenn die Wehen begannen, hörte Lilith das Schreien und kam ganz nahe, um den Geruch des Blutes zu genießen, und je länger sich eine Niederkunft hinzog, desto dreister wurde sie. Ob in einer kleinen Einzimmerwohnung oder einem Palazzo tat nichts zur Sache, Lilith war die soziale Stellung ihrer Opfer egal.
    Hannah nahm Contessa Lucias Hand, die sich kühl und wächsern anfühlte. Die blauen Augen der Contessa waren geschwollen und die Haare schweißverklebt, die Wangen zu rot und die Augen zu hell. Hätte die Contessa nicht husten müssen und pulsierte da nicht die kleine Ader in ihrer Schläfe, hätte man sie für tot halten können.
    »Contessa, ich heiße Hannah. Ich bin hier, um Euch zu helfen, das Baby zu bekommen. Könnt Ihr mich hören?« Hannah spürte das Rascheln von Liliths Flügeln, als sie sich über das Bett beugte, und glaubte erkennen zu können, dass sich der am Kopfende hängende Rosenkranz bewegte. Sie murmelte ein schnelles Gebet.
    Hannah legte den Arm um die Contessa und zog sie etwas höher in die Kissen, damit ihr das Husten leichter fiel, wobei ihr die Schulterblätter der schrecklich geschwächten Frau in den Körper schnitten. Blut sprenkelte das Taschentuch, das Lucia sich vor den Mund hielt.
    »Ihr müsst mir zuhören. Ich weiß, es ist schwer. Ihr liegt schon lange in den Wehen, und doch geht es nicht voran. Ich muss Euch untersuchen.« Hannah studierte das Gesicht ihrer Patientin. Es war so, wie sie befürchtet hatte: Der Conte hatte zu lange gewartet. Hätte er sie morgens schon gerufen, als Lucia noch kräftiger war, hätte es vielleicht noch Hoffnung gegeben. Jetzt war es lange nach Mitternacht, und die Contessa schien zu schwach, um auch nur ein Katzenbaby aus sich herauszupressen, geschweige denn ein großköpfiges Menschenkind.
    Lucia hob die halb geschlossenen Lider, als versuche sie, durch alle Schmerzen hindurch herauszufinden, wer Hannah war. »Kenne ich sie?«
    »Euer Mann hat mich geholt. Ich bin Hebamme und gekommen, um Euch zu helfen.«
    Ein paar Augenblicke vergingen, und Lucia kniff die Augen zusammen, weil die Gestalt, die sie da mit blauer Cioppà, Schal und Kopftuch sah, für sie offenbar wie eine Erscheinung wirkte. »Hannah, ja. Alle Frauen sprechen von ihr.« Sie bemühte sich um ein Lächeln. »Es heißt, sie vollbringt Wunder. Das ist es, was ich brauche.«
    Genau wie ich, dachte Hannah, sagte aber: »Auf Wunder darf man sich nicht verlassen.«
    Da der Hustenanfall vorüber war, brachte Hannah die Contessa wieder in Rückenlage und zog die blut- und schweißgetränkte Decke zurück.
    »Ich werde ganz vorsichtig sein, aber ich muss Euren Bauch befühlen und sehen, ob sich das Baby in der richtigen Lage befindet.«
    »Meinen Rosenkranz, bitte.«
    Hannah wollte schon antworten, dass es einer Jüdin verboten sei, christliche Objekte zu berühren, doch sie hielt sich zurück. Gott würde ein Auge zudrücken. Trost zu spenden, einer sterbenden Frau den Rosenkranz zu geben, war eine Mizwa, eine gottgefällige Tat, und keine Verletzung der Glaubensregeln. Hannah nahm den Rosenkranz vom Kopfteil des Bettes und reichte ihn der Contessa. Die Perlen fühlten sich wärmer und lebendiger an als Lucias Finger. Lucia führte die Kette an die Lippen und küsste sie.
    »Ist sie Jüdin?«
    »Aus dem Ghetto Nuovo.«
    »Danke, Hannah, für den Mut zu kommen. Was immer aus mir und meinem Baby wird, ich bin ihr so dankbar.« Dann lag sie ganz still, und ihre Lider schlossen sich. »Sie hat mir den Rosenkranz gegeben, als wäre es eine Schlange.«
    »Das habt Ihr gemerkt? Sehr gut. Das heißt, es ist noch Leben in Euch.« Hannah strich ihr das nasse Haar aus der Stirn und wandte sich an Giovanna, die sich die Hände an der Schürze abwischte. »Wie groß sind die Pausen zwischen den Wehen?«
    »Während der letzten drei Stunden nur ein paar Vaterunser. Sie hat vor zwei Tagen angefangen und keinerlei Fortschritt erzielt. Jetzt ist sie erschöpft und hat viel Blut verloren, wie man sehen kann. Ich habe ihr gesagt, sie muss pressen, aber sie ist zu schwach.« Giovanna starrte Hannah einen Moment lang an, den roten Schal und das dunkle

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