Die Hebamme von Venedig
stetig, wurde sie mit einem Blick auf dunkles, nasses Haar belohnt. Wieder zog sie, und der Kopf kam hervor, dann eine Schulter. Sie ließ die Löffel los und warf sie aufs Bett. Mit den Händen befreite sie die andere Schulter, die noch im Leib festsaß.
Und dann, mit einem letzten Stoß, landete der schleimige kleine Körper in ihren Händen.
Der Anblick des Babys vernichtete jede Erleichterung, die Hannah im ersten Moment verspürt hatte. Es hatte die Färbung von Herbstpflaumen, ein dunkles Lila mit hellen Flecken, durch die kein Blut floss.
»Schnell, Giovanna, wir brauchen zwei Becken, eines mit heißem und eines mit kaltem Wasser!«
»Ich sollte lieber einen Priester holen«, sagte Giovanna. »Das Baby wird bald schon Lilith gehören.« Damit eilte sie aus dem Zimmer.
Hannah kroch unter das Bett, holte ihr Messer und schnitt die Nabelschnur durch. Wie ein knochenloser Finger fühlte sie sich an. Mit einer Kerze vom Nachttisch versengte sie das abgeschnittene Ende der Schnur, das ein zischendes Geräusch machte, als sie die Flamme daranhielt.
Hannah legte ihren Mund über Mund und Nase des Babys, saugte den Schleim daraus hervor und spuckte ihn auf den Boden. Das Baby blieb schlaff.
Giovanna kam mit den Becken und sagte: »Besser ist es mit einem nassen Tuch. In Wasser getaucht zu werden ist nicht gut für ein Kind. Es wird sterben, und all ihre schwere Arbeit war umsonst.«
Hannah wusste von der christlichen Abneigung gegen das Baden. Der Rabbi hatte ihr einmal erzählt – vielleicht im Scherz –, bei einer christlichen Taufe gieße ein Priester in einer stinkenden schwarzen Robe dem Baby etwas Wasser über den Kopf und erkläre dabei, dass es damit für immer von der Pflicht zu baden befreit sei.
»Ich will es nicht säubern, sondern ins Leben zurückholen.«
Giovanna sagte nichts, sondern sah nur zu, wie Hannah das winzige Wesen in das Becken mit dem warmen Wasser tauchte, dann in das kalte und immer so fort.
Komm, atme, Kind. Ein sorgloses Leben erwartet dich. Mit schönen Kleidern, eigenen Lehrern, liebenden Eltern und einem Palazzo am Canal Grande. Alles, was du dafür tun musst, ist, etwas Luft in deinen kleinen Körper zu saugen und wieder auszuatmen. Versuche es. Bitte. Es ist nicht so schwer.
»Das Kind sollte getauft werden«, sagte Giovanna.
»Ich werde ihm etwas Rauch in die Lungen blasen.« Hannah nahm die Kerze, mit der sie zuvor die Nabelschnur versengt hatte, hielt sie über das Baby, vorsichtig darauf bedacht, dass kein Talg auf den kleinen Körper tropfte, und blies den Rauch in sein Gesicht. Sie tat es mehrere Male, aber das Baby blieb leblos. Vielleicht wäre etwas angesengter Rosmarin besser? Aber es blieb keine Zeit. So packte sie den kleinen Körper denn bei den Füßen, ließ ihn nach unten hängen und schlug gegen Po und Rücken, wobei sie den glitschigen Körper vorsichtig über das Bett hielt.
»Ich tue meinen Teil, Gott. Bitte hilf mir.« Sie bewegte den kleinen Körper auf und ab, als schrubbte sie Kleider auf einem Waschbrett. »Bei allem Großen und Guten, atme!«
»Nur Gott kann ihm Leben geben«, sagte Giovanna.
»Heute braucht Er meine Hilfe.«
»Das ist Gotteslästerung.«
Hannah richtete das Baby auf, aber seine Farbe war um nichts gesünder. Noch einmal tauchte sie es in das kalte Wasser, wobei ihr das glitschige Etwas beinahe aus den Händen gerutscht wäre, und diesmal entlockte der Schock des eiskalten Wassers dem kleinen Körper einen schrillen Wutschrei. Hannahs Schultern sackten erleichtert herunter, und sie bettete das Baby auf eine Decke.
»Möge dein Schreien bis auf die Piazza San Marco zu hören sein.«
Während das Baby schrie, wandelte sich seine Farbe von Lila zu Rosa. Die Geburtslöffel, die offen sichtbar auf dem Bett lagen, hatten winzige rote Druckstellen an seiner Stirn hinterlassen. Es wäre nicht gut, wenn Giovanna die Löffel nähme und der Inquisition als Beweismittel brächte. Hannah steckte sie so, wie sie waren, verschmiert und verklebt mit Schleim und Blut, in ihre Tasche.
Sie hörte ein schwaches Stöhnen. Es kam von Lucia. »Euer Kind lebt«, sagte sie zu ihr und drückte ihr die Hand. »Ich kümmere mich gleich um Euch.«
Damit wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Baby zu und befreite es mit einem Tuch von der wachsig glitschigen Schicht auf der Haut. Das Kind war groß, und das kleine Geschlecht so fleckig, dass Hannah einen Moment brauchte, um zu erkennen, dass es ein Junge war. Die schieferblauen Augen in seinem
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