Die Hebamme von Venedig
zerknitterten Gesicht öffneten sich. Er würde einmal ein gut aussehender Bursche werden, wenn er denn weiter brav atmete. Zu sehen, wie sich der winzige Leib wie der weiche Bauch eines Kätzchens auf und ab bewegte, erfüllte Hannah mit Glück, und sie lächelte. Der Kleine war füllig, hatte starke, gleichmäßige Züge, hohe Brauen und runde Bäckchen. Das Haar würde rötlich sein, wenn es trocknete. Wie anders als die dunklen, jammernden Babys des Ghettos er doch war, die rot und protestierend in diese Welt eintraten und instinktiv zu wissen schienen, dass ein Leben voller Mühen vor ihnen lag. Sie drückte sich das Kind an die Brust und wiegte es sanft, während das kleine Wesen sie zu mustern schien und die winzigen Fäustchen ballte.
»Halte sie die Kerze, Giovanna. Ich will mir den kleinen Mann genauer ansehen.«
Giovanna hielt das Licht in die Höhe. Die Babyhaut leuchtete jetzt in einem gesunden Rosa. Hannah wollte den Jungen nicht aus den Armen geben, er war so schön. Ein jüdischer Junge würde jetzt geölt und zu seinem Schutz mit einer Salzschicht bedeckt werden, und am achten Tag würde man ihn beschneiden. Nichts von alldem würde mit diesem jungen Adelsspross geschehen.
In der Ecke des Zimmers stand das Kinderbett, mit vier zierlichen Marmorpfosten und einem mit Faunen bestickten roten Seidenbaldachin. Sie legte den kleinen Kerl hinein und zog ihm die Decke bis ans Kinn. Das Wickeln würde warten müssen, bis sie sich um die Contessa gekümmert hatte.
Die Nachgeburt, die einem Stück geäderter Kalbsleber glich, hätte bereits aus Lucia herausgleiten und in die vorbereitete Schale fallen müssen. Um dem Vorgang nachzuhelfen, hätte sich eine jüdische Hebamme in biblischen Zeiten über die Schenkel der Mutter gelehnt und ihr den Kopf in den Bauch gerammt, bis sich der Leberkuchen gelöst hätte. Hannah hatte eine verträglichere Methode. Sie zog an der Nabelschnur, die dick mit Blut gefüllt aus dem Geburtskanal hing, doch sie riss. War es zu viel verlangt, dass wenigstens eine kleine Sache problemlos verlief? Wäre Lucia dazu fähig gewesen, hätte Hannah sie gebeten, aufzustehen, damit der Leberkuchen zwischen ihren Beinen herausfallen konnte, aber Lucia vermochte genauso wenig aufrecht zu stehen wie das Baby, das sie gerade geboren hatte, und wenn die Nachgeburt nicht kam, würde ein Fäulnisprozess einsetzen. Dagegen ließ sich nur eines tun.
»Giovanna, nehme sie die Contessa bei den Schultern. Ich muss fühlen, was da nicht stimmt.«
Hannah krempelte die blutbefleckten Ärmel ihrer Cioppà hoch, schob den Unterarm in die warme Dunkelheit von Lucias Leib, fasste die widerspenstige Nachgeburt, atmete einmal tief durch und zog. Lucia bäumte sich auf, es gab ein reißendes Geräusch, und Hannah stolperte zurück, ein rohes Stück Fleisch in der Hand. Sie ließ es auf den Boden fallen, führte den Arm noch einmal ein, ertastete die Gebärmutter, fasste mehr schwammiges Fleisch, zog, hielt es und brachte eine weitere rotblaue Handvoll zum Vorschein. Ihr Arm zitterte und war mit schimmerndem Blut bedeckt. Diesmal hielt ihr Giovanna die Schale hin, damit sie das Gewebe hineinwerfen konnte.
Als die Nachgeburt endlich entfernt und die Gebärmutter gereinigt war, hörte der Blutfluss auf. Nach jüdischer Sitte würde die Plazenta jetzt in ein sauberes Tuch gewickelt und begraben werden. Aus Gründen, die Hannah nicht begreifen konnte, konservierten die Christen sie in einem Glas mit besonderem Öl.
Ein klackendes Geräusch holte Hannah aus ihren Gedanken. Die Zähne der Contessa schlugen aufeinander, und sie zitterte am ganzen Körper. Hannah holte ein Federbett aus dem Schrank und begrub Lucia darunter. Sie legte ihr eine Hand auf die Stirn. Die Contessa hatte hohes Fieber, und Hannah betete, dass es zu keinen Blutungen mehr kam, die sich womöglich nicht stillen ließen.
Hannahs Blick war von Müdigkeit eingetrübt, und ihre Arme schmerzten von der Anstrengung, die Nachgeburt zu entfernen. Sie war, zumindest kam es ihr so vor, schon eine Ewigkeit zugange, hätte sich setzen, eine starke Brühe trinken und schlafen sollen, aber ihre Arbeit war noch nicht beendet. Sie zog einen Stuhl heran und ließ sich neben Lucia nieder.
»Es ist geschafft, cara. Das habt Ihr großartig gemacht.« Sie nahm Lucias Hand. »Ihr habt gelitten, aber dafür habt Ihr auch einen wunderschönen Jungen geboren. Er hat einen großen Kopf, was ich Euch wohl nicht erzählen muss, und die leuchtend blauen Augen Eures
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