Die Hebamme von Venedig
indem sie Dinge tat, die nur zwischen Ehemann und Ehefrau getan werden sollten, ließ Hannah rot werden. »Es ist nicht nötig, über diese Sachen zu sprechen.«
»Ich bin eine Kurtisane, keine Hure«, sagte Jessica. »Ich streife nicht durch die Calli von Castello und lasse mich von Männern gegen die Mauer des Armenhauses gelehnt nehmen.«
Es kostete Hannah einige Mühe, sich nicht die Hände auf die Ohren zu drücken.
»Dio mio «, sagte Jessica und fächelte sich Luft zu. »Ich habe wohl etwas zu viel Wein getrunken.« Sie knöpfte sich die Weste auf, unter der eine tief ausgeschnittene Bluse zum Vorschein kam, die ihre Brüste und eine Kette mit einem Kruzifix zeigte.
Hannah wusste nicht, was sie mehr schreckte, Jessicas Beruf oder das Kruzifix um den Hals ihrer Schwester.
»Wovon, denkst du, soll ich sonst leben?« Jessica zwinkerte Hannah zu. »Eines Tages, wenn meine Taille dicker wird und mich keiner mehr begehrt, will ich tun und lassen können, was mir gefällt. Ich werde nicht Not leiden wie so viele meiner Art. Ich habe Besitz in Castello und einen Haufen Edelsteine.« Sie hielt inne. »Ich könnte sogar heiraten, wenn ich wollte. Eine reichhaltige Mitgift hilft viel, um eine gute Partie zu machen.«
Hannah öffnete den Mund, um etwas zu antworten, aber Jessica war noch nicht fertig. »Mach dir um mich keine Sorgen, ich plane meine Zukunft wie ein General, der seine Kriegskasse zusammenträgt.«
»Isaak hat mich ohne Mitgift geheiratet«, sagte Hannah. »Ohne irgendetwas, bis auf meine hölzerne Cassone mit ein paar Kerzenständern und der seidenen Decke von Tante Zeta.« Kaum, dass sie das gesagt hatte, bedauerte sie es.
Ärger strich über Jessicas Züge. »Isaak ist ein seltenes Wesen. Großzügig, geschäftstüchtig, gutaussehend …«
Hannah drückte sich die Hand auf den Mund, um ihre Tränen zurückzuhalten.
»Hannah, was ist? Und was um alles in der Welt machst du hier überhaupt so früh am Morgen? Venedig ist voller Gauner und umherschweifender Mistkerle, die dir nur zu gerne etwas antun würden.« Jessica strich mit dem Handrücken über Hannahs Wange.
»Isaak ist versklavt worden. Er ist auf Malta.«
»Das wusste ich nicht. Oh, Hanni, es tut mir so leid.« Sie fasste nach dem Kreuz auf ihrer Brust. »Möge Gott ihn bald zurück in dein Bett schicken, gesund und unversehrt.«
Hannah erzählte Jessica von ihren einsamen Nächten und ihrer Angst um Isaak. Sie wünschte, sie wären irgendwo für sich und ständen nicht mitten auf der Fondamenta, wo jeder Frühaufsteher sie sehen konnte. Sie zog Jessica am Arm in einen nahen Torweg.
»Jede Klatschtante im Ghetto kennt eine schreckliche Geschichte über einen Juden, der auf Malta zu Grunde gegangen ist, und will sie mir in allen Einzelheiten erzählen. Ich bin außer mir vor Sorge.«
»Ich kenne diese Geschichten, aber Kopf hoch, Isaak ist ein einfallsreicher Mann. Er hat eine schnelle Zunge und ist schlau.«
Hannah bebte am ganzen Körper, so musste sie schluchzen. »Er wird sich mit jedem anlegen, dem er begegnet. Er ist aufbrausend und leicht erregbar.«
»Nur dir gegenüber nicht«, sagte Jessica.
»Doch, auch mir gegenüber. In der Woche vor seiner Abreise haben wir gestritten. Ich habe ihn angefleht, nicht in die Levante zu fahren, nichts Gutes werde dabei herauskommen.« Sie zog den Mantel des Conte fester um sich.
»Hannah, Isaak betet dich an. Ich weiß noch, wie er auf dich gewartet hat, wenn du aus der Mikwe kamst, sauber und rein und bereit für seine Liebkosungen. Er weiß, dass du ihn liebst. Jeden Tag eurer Ehe hast du es bewiesen.« Sie nahm Hannah in den Arm und flüsterte: »Im Bett vergeben die Männer alles. Wenn du dich in seine Arme kuschelst, wird er alle bösen Worte durch süße, zärtliche ersetzen.«
»Aber was, wenn ich nach Malta komme und er ist bereits tot?« In dem Torweg, in dem sie standen, war die Luft noch so kalt, dass Hannah ihren Atem in der Luft sehen konnte. »Ich vermisse dich so, Jessica. Nachdem du weggegangen warst, um dich auf deinen Übertritt zum Christentum vorzubereiten, habe ich vierzehn Tage und Nächte im Bett gelegen und nichts gegessen.«
Jessica streichelte ihre Hand. »In der Schule der Katechumenen, der Übertrittswilligen, haben die Nonnen jeden Morgen mein Kissen ausgewrungen, so voller Sehnsuchtstränen nach dir war es. Selbst Rabbi Ibrahim und seinen nach Fisch stinkenden Atem habe ich vermisst. Ich habe mich fürchterlich einsam gefühlt.« Sie deutete auf den Saum
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