Die Hebamme
immer und erneut zu überwindenden Widerstand zu verstärken …«
»Und doch würde ich mich jederzeit dafür verwenden, dass Derartiges nicht im Ansinnen der Schülerin Langwasser lag. Nicht im Mindesten ist sie ein aufrührerischer Charakter. Ich würde sie ohne Zögern als verantwortungsvoll bezeichnen. Und muss sie das nicht sein? In ihren Dörfern, auf dem Land, finden die Hebammen eine deutlich andere Lage vor als hier. Sie sind auf sich gestellt und ein Arzt ist kaum erreichbar. Muss unsere Ausbildung sie nicht befähigen, selbstständig und in eigenem Ermessen handeln zu können?«
»Ich bedarf hinsichtlich dessen wahrhaftig keiner Belehrung, Herr Kollege«, sagte Kilian, und dass er sich bemühte, ruhig zu bleiben, ließ Clemens die alte Sympathie für diesen Mann empfinden, den er so lange Jahre schon als Gelehrten schätzte.
»Wissen Sie, Heuser«, sprach Kilian weiter, »ich befinde mich doch weder in diesem Beruf noch an diesem Institut, um armselige Weiber in Angst und Schrecken zu versetzen. Allerdings erwarte ich, ja ich verlange, dass sie der Wissenschaft dienen. Ich muss mich dafür nicht in die Rolle eines Folterknechts weisen lassen, von einer …«
»Sind Sie nicht vielmehr noch immer erbittert über die abschlägige Antwort der Gottschalkin?«
»Sie diagnostizieren mir also profane Rachsucht, Herr Doktor«, sagte Kilian leise. Er kam langsam auf die Fensterreihe zu, ging zwischen Untersuchungstisch und den Schränken entlang, während seine Hände in typischer Weise auf dem Rücken zusammenfanden und sein Blick die Sammlungsstücke streifte.
»Keinesfalls«, gab Clemens zurück. »Doch bin ich selbst zu sehr ein Meister darin, in Stimmungen gefangen zu sein, als dass ich einen solchen Zustand nicht auch bei einem Menschen neben mir erkennen könnte. Die Gottschalkin passt aus verschiedenen Gründen nicht in dieses Haus. Sie war so klug, dies zu erkennen. So betrachtet, dürfen wir es ihr nicht verübeln. Und zu den Hebammen lassen Sie mich noch Folgendes ergänzen: Sie sind wichtige Vermittlerinnen für den Ärztestand, nicht nur am Kreißbett. Jene Frauen, die wir ausbilden, solche wie Gesa Langwasser – sie tragen die Nachricht über unser Institut hinaus in die Dörfer, und was sie zu berichten haben, sollte für uns sprechen, meinen Sie nicht?«
»Mein lieber Kollege, was ist nur geschehen mit Ihnen? Ich wüsste es zu gern … Und was hat es wohl zu bedeuten, dass Sie den Vornamen dieser Person so erstaunlich parat haben …«
»Nur, dass ich im Verzeichnis der Schülerinnen nachgesehen habe, woher sie stammt. Ich würde ihr gern schreiben, dass sie zurückkommen kann, um ihre Prüfung zu absolvieren. Und ich hoffe auf Ihr Einverständnis, Herr Professor.«
Wenige Schritte vor Clemens blieb Kilian stehen und betrachtete ihn aufmerksam.
»Kommen Sie, Heuser, wenn ich Ihnen einmal von Mann zu Mann geraten habe … nun, ich hätte doch gedacht, dass Sie sich einer Frau Ihres Standes zuwenden …«
Clemens lächelte.
»Diese kleine Unterredung, ja, in der Tat hat sie Eindruck auf mich gemacht«, sagte er. »Vielleicht sind wir doch aus einem Holz geschnitzt, Sie und ich, dachte ich manchmal danach.«
»Sie und ich«, gab Kilian tonlos zurück.
»Nun, könnte es nicht sein, dass uns die pathologische Betrachtung des Weibes hinderlich ist, ihm auf andere Weise näher zu kommen?« Im Stillen dankte Clemens der ehemals ihm verlobten Philippa für das geschmeidige Argument, zumal es nicht ohne Wirkung blieb und Kilian nachdenklich schwieg.
»Es klingt zu verquast, als dass es mir gefallen wollte«, sagte der Professor schließlich. »Nehmen Sie Melander in Göttingen als Beispiel. Er ist verheiratet, hat eine große Familie, kaum dass man seine Kinder zu zählen weiß, und lebt mit ihnen in einer großen Etage seines Instituts, sodass er immer und jederzeit da sein kann. Er rühmt sich damit, bei jeder Geburt im Hause anwesend zu sein …«
Er seufzte unvermittelt, ging zu dem anderen Fenster hinüber und sah auf die Gasse hinunter.
»Ein solches Haus, ein modernes Entbindungshospital – soll es uns denn nicht möglich sein, das für Marburg zu erreichen? Ein lichtes, stolzes Gebäude, das einen selbstverständlichen Platz einnimmt in der Stadt? Da Sie von Stimmungen sprachen, Kollege Heuser, ich gestehe, in verzagten Momenten will mir scheinen, es führt kein Weg dorthin.«
»Sicher kein einfacher, aber Sie haben mich gelehrt, daran zu glauben. Doch gerade für schwierige
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