Die Heidehexe - Historischer Roman
Schwerfällig setzte sie die Füße zum Tanz voreinander. Angewidert wendete Elisabeth den Kopf, zog ein mit Lavendelwasser getränktes Tüchlein unter der Gürtelschnalle ihres Kleides hervor und hielt es vor das Gesicht. Ihr wurde übel. Brechreiz, der die Kehle emporbrodelte, ließ sich kaum länger unterdrücken. Sie würgte.
„Bedecke deine Wunden, Rubina.“ Die Worte klangen schärfer als beabsichtigt. Sofort schlug die Alte ihre Kleider zu Boden. Mit leichtem Zittern in der Stimme bat sie unterwürfig: „Schließt nur einen Wimpernschlag lang Eure Augen und Ihr dürft eine Überraschung erleben, die Ihr nie mehr vergessen werdet.“
Die Gefühle der Fürstin schwankten zwischen Ekel und Mitleid. Eine Portion Neugier gesellte sich dazu. Schlussendlich siegte das Mitgefühl. Dennoch zierte sich Elisabeth. Schließlich war sie die Herrin und sollte nicht den Anweisungen einer Untergebenen, wenngleich ihrer Freundin seit Kindheitstagen, Folge leisten. Ihre Miene verdüsterte sich.
„Wie sprichst du mit deiner Herrscherin?“, tadelte sie.
Rubina warf sich vor ihr auf die Knie, küsste den Saum des Seidengewandes. „Bitte, gnädigste Herrin, tut, was ich Euch sage. Ihr werdet es nicht bereuen.“
„Also gut. Aber wehe , wenn jetzt nicht ein kleines Wunder geschieht, das deine Unverfrorenheit rechtfertigt.“ Die Fürstin senkte ihre Lider.
„Nicht blinzeln“, sagte die Hebamme.
„Was fällt dir ein? Ich und blinzeln. Das wäre meiner nicht würdig.“
„Nie und nimmer ...“ Rubina hatte sehr wohl bemerkt, wie Elisabeth ein Auge nur halb geschlossen hielt, um sich nicht entgehen zu lassen, was geschah.
„Wenn die Musik ertönt, dürft Ihr das Geschehen bestaunen. Vorher nicht.“
Musik? Woher in aller Welt sollte jetzt wohl Musik erklingen, dachte die Fürstin. Ihr deuchte, die Hebamme würde nach und nach kindisch, ließ sich jedoch aus Gutmütigkeit auf das scheinbar alberne Spiel ein - und musste sich eines Besseren belehren lassen.
Keine Minute war vergangen, als sie das Trommeln eines Tamburins vernahm, und rhythmisches Klacken von Kastagnetten ihr Ohr verwöhnte. Aus dem Nebenraum erklangen die südländischen Töne der Schellentrommel.
Elisabeth öffnete die Augen und erstarrte.
War das wirklich Rubina? Berauschend schön, wie ehedem als Jungfrau, reckte sie gertenschlanke Glieder gen Himmel, tänzelte anmutig zum Takt der orientalischen Melodie, knickste nach allen Seiten.
Die Dynamik der Musik steigerte sich, schwoll dramatisch an, zirkulierte in rasender Geschwindigkeit durch die Luft. Allegro. Forte. Schneller und schneller rotierte der biegsame Körper. Grazile Beine wirbelten über das Parkett. Elfenfüße steppten in eisenbeschlagenen Lackschuhen. Gleichzeitig klappte die Tänzerin hölzerne Kastagnettenschälchen so geschwind gegeneinander, dass es unmöglich war, die Bewegungen mit den Augen zu verfolgen.
Leib und Seele verschmolzen, wurden eins, schwirrten wie verwunschene Nachtvögel durch die allmählich einsetzende Dämmerung.
Das Mädchen spürte sie nicht, vernahm nichts um sich herum, spielte, tanzte, sang, als gelte es ihr Leben. Versunken im Fieber der Ekstase, warf sie den Kopf in den Nacken. Hüftlanges Lockenrot hüllte das Fabelwesen in eine Flammensäule aus Sehnsucht und Leidenschaft. Krönung war das schlangenartige Verdrehen der Wirbelsäule, wie nur Rubina es in Jugendjahren beherrschte und um das sie berühmte Artisten beneidet hatten.
Stakkato. Pianissimo. Ein letzter lodernder Blick. Die Schritte stockten, hielten inne, als die Musik in den hohen Hallen verebbte. Erschöpft sank die Schöne nied er. Und die Glut schwarzer Pupillen ließ das Herz der Fürstin erschauern.
Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Unfähig, ein Wort von sich zu geben, strich sie sanft, ja, zärtlich durch die vom Tanz zerzauste Mähne, beugte sich zu der am Boden Keuchenden, presste ihren Körper gegen den des Mädels. Bewegungslos verharrten beide in stummer Umarmung.
Wie lange sie so lagen? Herz an Herz? Seele an Seele in jenem unwirklichen Zustand, der einer Hypnose glich? Wer weiß?
„Rubina, teure Freundin“, raunte die Herzogin endlich, „bitte, gib auch mir den Körper meiner Jugend zurück. Nur für ein paar Minuten will ich eintauchen in mein entflohenes Ich, in den Leib, der so dehnbar und wendig war. Möchte spüren begehrliche Blicke der Knappen und Ritter auf lindweicher Haut. Möchte fühlen die Unschuld, so rein und so keusch, die doch Liebeslust
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