Die Heidehexe - Historischer Roman
gemahlenen Knochen, Kröten, Eidechsen und Wildpflanzen zubereitet werden? Und dir die Bedeutung und Wirkung der unterschiedlichsten Gewächse und Gifte erklärt?“
„Doch“, sagte Isabella kleinlaut, „aber nichts über meine Wurzeln, meine Herkunft, dein Leben.“ Sie reichte der Mutter zwei Krücken, auf die sie sich ächzend stützte und mit schleppenden Schritten der Tür entgegensteuerte.
Nie war Isabella der Weg so lang vorgekommen, spurtete sie doch sonst wie ein Wiesel über Stock und Stein. Diesmal musste sie sich dem Tempo der Mutter anpassen. Und das glich dem einer Weinbergschnecke, was auch sein Gutes hatte. Konnte sie doch wenigstens noch ein paar Fragen loswerden, die sie sich bislang nicht zu stellen getraut hatte.
„Mutter“, begann das Mädchen, „warum hast du mich zu diesem strengen Schinder Hubert Geroll und seiner noch strengeren Ehefrau Emma gegeben, wenn du mich schon nicht bei dir behalten konntest?“
„Weil keiner dich aufgenommen hat. Was glaubst du, an wie viele Türen ich geklopft habe, um dich unterzubringen? Überall vergebens, obwohl ich jedem ein monatliches Entgelt für deine Erziehung anbot. Erst vor den Toren des Dorfes, erklärten sich einige finstere Gestalten des Geldes wegen bereit, dich mir abzunehmen. Und von den zwielichtigen Gesellen, die dort draußen hausten, erschien mir der Abdecker noch als das kleinste Übel. Wärst du vielleicht lieber beim Henker groß geworden?“
„Natürlich nicht. Bei dir wollte ich sein. Immer nur bei dir.“
„Es war doch nun mal nicht möglich, bei meinem Lebenswandel …“
„Bernhard hast du im Hause behalten.“
„Isabella, das hatte andere Gründe.“
„So? Welche?“
„Darüber kann und werde ich dir nichts verraten. Unterlass es, mir Löcher in den Bauch zu fragen.“
„Und warum muss ich unbedingt heute zur Herzogin?“
„Das habe ich dir bereits alles zu Hause erklärt. Weil ich dich in ihrer Obhut wissen möchte, wenn ich diese Welt verlasse.“
„Seit Jahren muss ich mi r das Gefasel von deinem nahenden Tod anhören. Ich bin es leid. Was soll dir schon geschehen?“
Rubina antwortete nicht.
3
Elisabeth verscheuchte eine Wespe, die sie unablässig umkreiste. Mit sirrendem Ton setzte das vorwitzige Insekt aus sicherer Entfernung zu einer weiteren Attacke auf ihre Nase an.
„Schlag sie tot, Rubina! Schlag das Ungetüm endlich tot“, kreischte die Herzogin von Braunschweig-Wolfenbüttel.
Die Hebamme erhob sich, beobachtete Flug und Zielpunkt, klatschte in beide Hände und präsentierte Elisabeth den zerquetschten Quälgeist.
„Die hat ausgesummt“, triumphierte sie.
„Na, klappt doch. Warum nicht gleich so?“, fragte die Herzogin und zupfte eine welke Blüte aus dem Narzissenstrauß, der in einer Zinnvase vor ihr auf dem Marmortisch stand. Sie zerrieb die Blume zwischen ihren Fingern und saugte den Geruch der sterbenden Frühlingsbotin tief ein.
„ Herrlich, dieser Duft nach Lenz und Jugend“, sagte sie verträumt, schloss die Augen, gab sich den Erinnerungen an ihre eigene Maienzeit hin.
„Ihr habt recht, liebste Herrin, am s tärksten ist das Aroma der Narzisse, wenn sie ihr Ende nahen fühlt. Dann bietet sie nochmals ihre gesamte Kraft auf, will beweisen, dass sie es mit ihren jungen Schwestern aufnehmen kann. Bereits dem Tode geweiht, mag sie nicht wahrhaben, wie rasch der Zauber vergeht.“ Rubina stieß ein heiseres Lachen aus, bückte sich, die zerbröselten Überreste vom Boden aufzuheben.
„Lass gut sein, Rubina, ich werde nach der Kammerjungfer läuten. Deinem Gichtbuckel bereitet das Aufsammeln unnötige Qualen. Die Zeit fordert ihren Tribut. Sind wir nicht ebenfalls verdorrte Blumen, die ihrer Jugend nachtrauern? Du warst seinerzeit das lieblichste Mädchen, das mir begegnet ist. Ob es wohl jemals wieder einen solchen Ausbund an Schönheit unter Gottes Sternenhimmel geben wird?“
Rubina errötete bei den Worten der Landesherrin und knickste verlegen. Diese fuhr bereits fort: „Lang, lang ist’s her. Sehen wir den Tatsachen ins Auge. Auch du hast ausgeblüht. Bist alt und krank und bald wirst du das Zeitliche segnen.“
„Oho“, widersprach Rubina, „so fühle ich mich aber ganz und gar nicht.“
Ohne große Umschweife schürzte sie die langen Röcke so hoch, dass es fast ans Unschickliche grenzte, entblößte schorfige Knie, offene, von Haut befreite Beine, deren fauliger Gestank sonst vom luftundurchlässigen Stoff der Umwelt verborgen blieb.
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