Die Heidehexe - Historischer Roman
Massengräber werfen.“
Isabella blickte dem Schwager in die Augen, wusste nicht, worauf er hinauswollte. Also schwieg sie, ließ ihn weiterreden.
„ Du müsstest sehen, wie roh und brutal die Pestknechte mit den Todgeweihten umgehen. Abgestumpft gegen jegliches Leid, verfrachten sie die Leichen gleich Unrat in die eigens für die Verseuchten ausgehobenen Gruben. Sind zu viele Körper übereinander geschichtet, schütten sie ungelöschten Kalk darüber. Platz für die nächsten Fuhren. Es kommt vor, dass Haufen menschlicher Gebeine angezündet werden, falls sie sich nicht mehr stapeln lassen.“ Alwin schüttelte sich, allein bei dem Gedanken daran.
„Warum erzählst du mir das? Meinst du, ich sehe die Pestknechte in ihren langen, schwarzen Mänteln nicht jede Na cht vom Schloss aus, wie sie in die Häuser stürmen, die Toten herausschleifen und in die Siechenwagen hieven? Alle Räder der Karren sind mit Lumpen umwickelt, damit es nicht auffällt, wenn sie das geraubte Hab und Gut der elend zugrunde Gegangenen unter sich aufteilen. Alwin, ich habe auch Augen im Kopf.“
„Aber hast du die von Eiterbeulen Übersäten schon schreien hören? In ihre vor Schmerzen verzerrten Gesichter geschaut? Ihr klägliches Wimmern nach Medizin, die ihnen wenigstens in den letzten Stunden auf Erden die Qualen lindert?“
Isabella hob abwehrend die Hände. „Nein, das will ich auch nicht. Es gibt die Schnabeldoktoren, die sich in ihrer Kluft den Verseuchten bis auf ein paar Fuß nähern und ihnen Hilfe zuteil werden lassen.“
„Niemand kann den Unglücklichen helfen. Hörst du? Niemand. Die Ärzte stehen der Pest ebenso machtlos gegenüber wie der Rest der Helfer, trotz der lächerlichen Maskierung“, erklärte der Schwager. „Die Reichen in ihren Palästen suchen sie für Unsummen von Talern auf, lassen sie zur Ader. Nützt nichts.“
„Verschone mich mit weiteren Einzelheiten. Der Krieg an sich ist eine Katastrophe. Nachts schlafe ich nicht länger als drei Stunden, weil ich von Blut, zerfetzten Leibern, dem Geschrei der Frauen und Kinder und dem Todeskampf der jungen Soldaten träume, die nach ihren Müttern schreien. Heute ist die Beerdigung der Fürstin, an der mein Herz hing, und um die es Trauer trägt. Jetzt schicken die Götter zusätzlich die Pest über unsere Menschheit. Ist es nicht langsam genug mit all dem Leid?“
Vorwurfsvoll sprudelten die Worte aus ihrem Mund, während sie sich müde und kraftlos aufraffte, weiterzugehen. Alwin folgte ihr, ließ nicht locker.
„Was können die Pestkranken für den Krieg, Isabella? Deine Worte entbehren jeglicher Logik. Sie brauchen Hilfe. Unsere Hilfe.“
„Dann geh in das Spital und pflege sie. Hast doch angefangen gehabt, Medizin zu studieren.“
„Das tue ich seit Ausbruch der Seuche, ohne dass ich dazu aufgefordert werden musste.“
„Schön für dein Gewissen. Ich benötige jetzt Ruhe, nichts als Ruhe. Möchte mich nur noch um meine Kinder kümmern. Sie haben mich lange genug entbehrt.“
„War nur ein Versuch, dein Herz zu erweichen, da du doch die beste Kräutermischerin bist, die ich kenne. Aber ich verstehe dich durchaus. Alles Gute für dich, und grüße Wilhelm und Alexander von ihrem Onkel.“ Er wandte sich zum Gehen.
Sie verschränkte die Arme über der Brust, stand wie festgewachsen. Lass ihn laufen, sagte eine Stimme in ihr, es gibt noch mehr Kräuterkundige.
Aber mit seinen Sätzen hatte er die Angel ausgeworfen, deren Widerhaken sich in ihre Seele bohrte und nicht wieder löste. Mit jedem Schritt, den der Schwager sich entfernte, riss das verdammte Ding die Wunde tiefer, bis sie aufschrie. Alwin drehte sich um.
„Du hast mir keine Frage gestellt, sondern einen Befehl ins Hirn gepflanzt. Ich bin bereit“, sagte sie zermürbt.
Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, gingen beide wie selbstverständlich nebeneinander her , stiegen in die Grimmshagener Kutsche und fuhren gen Braunschweig. Weitab vor den Toren der Stadt lag das Siechenhaus. Alwin schickte den Kutscher mit den Pferden zurück nach Wolfenbüttel, wo sich die Trauernden zum sogenannten Leichenschmaus versammelt hatten.
Den Rest des Weges schritten Isabella und Alwin zu Fuß voran. Schon von fern schlug ihnen der faulige Pestgeruch entgegen, der sich mehr und mehr verstärkte, je näher sie dem kahlen Feld kamen, das, gut abgeschottet von irgendwelchen menschlichen Behausungen, jenes Schreckensgemäuer in den Himmel ragen ließ, das in seinem pechschwarzen Leib den ebenso
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