Die Heidehexe - Historischer Roman
deinem Wunsch kann und werde ich nicht nachkommen.“
Sie schaute ihn mit großen Augen an und sagte: „Was soll das? Bin ich nicht ebenfalls eine Angehörige des fahrenden Volks? War meine Base Karina nicht auf Viktors und meiner Hochzeit willkommen? Dein Vater hatte jahrelang mit meiner
Mutter eine Liebschaft, und du, werter Schwager, bist in mich vernarrt, seit wir uns das erste Mal trafen. Glaubst du , ich wüsste das nicht?“
Purpurr öte überzog Alwins Gesicht, als er sich zu den Worten hinreißen ließ: „Junge Zigeunermädchen sind schöner als alle anderen Mädel im Land. Ihr verzehrendes Feuer und jenes wilde Blut, das in ihren Adern pulsiert, wecken Verlangen in jedem Mann, ob arm oder reich. Es macht auch vor Prinzen nicht halt. Eine Beziehung voll zügelloser
Leidenschaft, in der Liebesträume ungehemmt ausgelebt werden können, ist die wahre Erfüllung im Leben. Aber sie bleibt eine Romanze, an die man später sehnsüchtig zurückdenkt. Geheiratet werden standesgemäße Jungfrauen.“
Seine Worte schlugen eine Schneise in die bisherige Vertrautheit. Isabella antwortete nicht, beugte sich tiefer zu dem Kranken, der gierig aus dem dargebotenen Kelch schlürfte. Alwin bereute das Gesagte, kaum, dass es seine Lippen verließ. Er hätte sich ohrfeigen können, fühlte, wie sehr er sie verletzt hatte, wollte sich entschuldigen.
„Tut mir leid, Isabella. War nicht so gemeint.“
Sie schwieg weiterhin, schritt an ihm vorbei zum nächsten Durstigen, als wäre der Schwager nicht anwesend, sondern lediglich üble Luft, die sich mit dem Gestank des Raumes vermischte.
Zwei Stunden später marschierte sie herein, die Garde der selbstlosen Helfer. Isabellas Familie. Ohne Schutzkleidung, aber mit einer Kolonne an Wagen voll frischem Heu und schmerzstillenden Medikamenten. Alwin hatte unbemerkt die Pesthölle verlassen, war zum Schloss geeilt und hatte einen Diener ins Zigeunerlager geschickt, mit der Bitte um Beistand für seine Schwägerin. Nicht einer hatte gezögert, dem Ruf zu folgen. Großmutter hatte knappe Anweisungen gegeben und binnen kürzester Zeit waren die Kutschen mit sämtlichen Vorräten an Heilkräutern, in Vollmondnächten zusammengebrauten Säften und Salben sowie Verbandzeug, Heu und Stroh beladen worden, um ihre Heil bringende Fracht an die Stätte des Grauens zu befördern.
Isabella schaute auf, lief den Verwandten freudestrahlend entgegen und dankte Alwin insgeheim, dass er seinen Stolz überwunden hatte. Umarmungen wurden vollzogen, kurz, aber innig. Von Karina erhielt sie einen zärtlichen Kuss. Dann machte sich die wortlose Schar an die Arbeit.
Jeder P atient wurde von starken Männerarmen behutsam hochgehoben. Und die Weiber kehrten verfaulte Strohreste, Kot und Urin unter ihm weg, scheuerten die Lagerstatt und füllten sie mit weichem, duftendem Heu. Keine scheute sich, die durchnässten Kleider vom Leib der Kranken zu entfernen, sie von Kopf bis Fuß zu waschen und die Eiterbeulen mit schmerzlindernden Salben zu bestreichen. Erst dann wurden die Wimmernden in saubere Laken gehüllt und vorsichtig niedergelegt.
Derweil die Zigeunerinnen ihnen ihre Tinkturen einflößten, reinigten die Burschen Gänge, Winkel und Ecken, rissen die Türen weit auf, ließen frische Sommerluft in die finsteren Verschläge, bugsierten Berge von stinkendem Unrat nach draußen, wo sie ein Feuer entzündeten, um den verseuchten Pestmüll den Flammen zu übergeben.
Barmherzige Samariter, die keinen Sold von irgendwoher erwarteten. Das dankbare Leuchten in den Augen der Verlorenen war ihnen Lohn genug.
Bald blitzten und blinkten Wände und Böden vor Sauberkeit. Die geschundenen Seelen glitten nach nächtelanger Schlaflosigkeit sanft ins Traumparadies, entkamen für etliche Stunden ihrer Pein. Diejenigen, bei denen keine Rettung mehr möglich war, schlummerten friedlich hinüber ins Reich, das kein Schmerz stört, kein Leiden. Erlöst von den unsäglichen Qualen, überquerten sie mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen den schmalen Pfad, der Leben und Tod voneinander trennt.
Auch die Sonne wurde müde, zo g sich zum Schlafen zurück. Dämmerung breitete sich aus im Haus der Verdammten. Und immer noch warteten einige Unglückliche auf die segensreichen Säfte. Sie fürchteten, übergangen zu werden, wenn Finsternis den Helfern die Blicke auf ihr Elend verwehrte. Lautstark begannen sie, sich bemerkbar zu machen, schluchzten und
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