Die Heidehexe - Historischer Roman
schwarzen Tod barg. Es schien, als habe er alles Leben um sich herum verbannt. Kein Busch, kein Baum, keine Blume weit und breit. Selbst Unkraut mochte an dieser Stätte nicht gedeihen Nirgends zwitscherte ein Vogel, nirgends bellte ein Hund oder miaute eine Katze. Nicht einmal der Flügelschlag eines Schmetterlings drang an ihre Ohren. Nur keuchender Atem, rasselnder Husten und Schmerzensschreie.
Ab und zu hörten sie das Aufklatschen von Chininpanzern auf dem gepflasterten Boden. Kakerlaken waren es, die sich von Dach und Fensterbrettern fallen ließen. Abertausende flüchteten bereits auf dem Vorhof vor Isabellas und Alwins Tritten. Wie viele mochten dann erst die Räumlichkeiten bevölkern? Isabella ekelte sich, schauderte. Doch zum Umkehren war es zu spät.
Eine Art Pförtnerhäuschen war seitlich an das Backsteingemäuer angebaut. Daraus kam ihnen eine wunderlich vermummte Gestalt entgegen. Über den linken Arm hatte sie zwei lange weiße Kittel gehängt. In der Hand trug sie die charakteristischen Pestmasken mit den gelben Vogelschnäbeln.
Ob es sich bei dem sonderbaren Wesen um Männlein oder Weiblein handelte, konnte man nicht erkennen. Auf jeden Fall schien es vom Auftauchen der Kräuterheilerin nicht überrascht. Fast hatte sie den Eindruck, als habe es mit ihrem Eintreffen gerechnet. Alwin errötete bei Isabellas durchdringendem Blick. Er wusste, dass ich mitkommen würde, schoss es ihr durch den Sinn, hat mich vermutlich schon angekündigt.
Mit einem leichten Kopfnicken, das wohl als Begrüßung gedacht war, überreichte die schweigende Erscheinung ihnen die weiße Kluft.
„Was soll das, Alwin? Ist diese Ausstattung nicht den Pestdoktoren vorbehalten?“, fragte Isabella argwöhnisch.
„Die kommen nicht in dieses Spital, fürchten zu sehr, sich anzustecken. Also tragen wir Helfer deren Verhüllung, um den Kranken ein wenig Hoffnung zu signalisieren.“
„Das ist Amtsanmaßung“, zischte Isabella empört.
„Lächerlich. Ich stehe als Grafensohn rangmäßig weit über den Ärzten. Und du hast mehr Wissen über die Behandlung von Kranken als sämtliche Mediziner zusammen. Außerdem werde ich mein Studium bald wieder aufnehmen und bin dann einer von ihnen.“
„Noch ist es nicht soweit.“
„Dann müssen sich die feinen Herren eben selbst herbemühen.“
„Ein feiner Herr bist du ebenfalls, Alwin. Und trotzdem scheust du dich nicht, in dieser Pesthölle dein Bestes zu geben. Also werde auch ich mich nicht länger zieren“, sagte Isabella versöhnlich.
Sie schlüpften in die Tracht, zogen die Vogelmasken über ihre Gesichter, sodass sie kaum atmen konnten und Alwin schloss mit einem riesigen Schlüssel die blutverschmierte Tür auf.
„Sind die Kranken etwa eingeschlossen?“, erkundigte sich seine Schwägerin erstaunt.
„Selbstverständlich. Sie würden doch sonst versuchen, zu entkommen. Nicht auszudenken, wenn sie noch mehr Bürger Braunschweigs und Umgebung den schwarzen Tod überbringen würden. Wer von den Gesunden der Stadt die Möglichkeit besitzt, sich in einer anderen, nicht verseuchten Gegend niederzulassen, der nimmt ohnehin die Beine in die Hand und kehrt unserer Heimat den Rücken.“
„Ich verachte solche Menschen, die ihre nächsten Angehörigen abschieben, sobald sie von der Seuche befallen werden. Familien müssen zusammenhalten, egal, was geschieht“, fauchte Isabella.
„In solchen Fällen ist sich jeder selbst der Nächste. Da zählen die Blutsbande nicht mehr. Erschrick nicht beim Anblick der Todgeweihten. Dir wird sicher schon vom Gestank Hören und Sehen vergehen.“
Und genau so war es. Der Pestgeruch nach Eiter, Geschwüren und blutigem Auswurf verätzte ihre Sinne, machte jede Form von Denken zunichte.
Noch nie in ihrem Leben hatte sie so etwas Abscheuliches gerochen. Der Blutgeruch an der Front erschien ihr plötzlich wie ein Duftwässerchen. Und selbst in der Abdeckerei des Ziehvaters war der Gestank erträglicher gewesen. Die Ausdünstungen des Schweißes, der unzähligen Kothaufen und sämtlicher von den durchweichten Strohlagern in den Gang rieselnden Urinbäche gingen völlig unter im Pestdunst, der von der Anwesenheit Satans kündete.
Isabella hielt den Atem an , versuchte den Brechreiz zu unterdrücken und dem Herrscher der Unterwelt die Zähne zu zeigen.
Am Ende des überfüllten Krankenlagers erblickte sie eine Magd, die mit einem Reisigbesen stümperhaft über den Unrat hinwegfegte.
„Wasser. Bitte, bitte einen
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