Die Heidehexe - Historischer Roman
besitzt kein Recht, unseren Vater zu bevormunden, Alwin. Bedenke, wen du vor dir hast“, schalt Victor den kleinen Bruder. Dankbar wollte der Alte ihn umarmen. Doch er wich ihm aus.
„Was sollte ich tun? Go tthard Wehrbach behandelte zur selben Zeit, als eure Mutter in den Wehen lag, einen anderen Patienten, der in Lüneburg wohnte. Der Weg dahin war zu weit, denn bei eurer Mutter ging es um Leben und Tod. Die Nabelschnur Victors hatte sich verfangen. Sie verlor Unmengen an Blut und keiner konnte es unterbinden. Da entsann ich mich, in meiner Angst um sie, der Hebamme Rubina, einzige Wehmutter in der Umgebung. Es war ihre Christenpflicht, deiner Mutter zu helfen.“
„Und war es nicht auch Eure Christenpflicht, Euch um Euren anderen Sohn, den geistig behinderten Bernhard zu kümmern?“, fragte Alwin herausfordernd.
„Um den Bastard? Ich habe ihn nie zu Gesicht bekommen. Rubina ist mit ihm irgendwo in den Wäldern verschwunden.“
„Lügt nicht, Vater. Ihr habt sie von Euren Soldaten, unter der Führung des Kürassiers Eberhard von Greifsburg als Hexe verfolgen lassen.“
„Du scheust dich nicht, mich Lügner zu nennen? Mir aus den Augen, Unwürdiger.“
„Erst will ich wissen, warum sie so elend umkommen musste, Rubina, die Euch nur Gutes getan hat. Dann magst du mich des Schlosses verweisen.“
Die Söhne sahen, wie der Graf mit sich rang. Endlich sagte er: „Stimmt. Ihr habt ein Recht darauf, zu erfahren, was geschehen ist. So schwöre ich also beim Tod meiner Gemahlin, dass sie es war, die heimlich den Kürassier beauftragte, Spitzeldienste gegen Rubina auszuführen. Die Todesfälle, bei denen Mutter, Kind oder beide während des Geburtsvorganges verstarben, hatten sich in der letzten Zeit dermaßen gehäuft, dass in meiner Gattin der Verdacht aufkam, Rubina hätte sie absichtlich ins Jenseits befördert, zumal ebenfalls die Ehefrau des Greifsburgers im Kindbett verschied und sowohl er als auch die Amme mit dem ständig greinenden Schreihals überfordert waren. Er nährte die Zweifel eurer Mutter an der Rechtschaffenheit der Hebamme, was ein Leichtes war, hasste sie doch Rubina, seitdem sie von deren Existenz erfahren hatte. Sie ahnte, dass ich die Zigeunermaid nie aus meinem Herzen verdrängt habe, eure Mutter immer an zweiter Stelle stand. Ich gebe zu, meine Ehefrau verachtet zu haben, nachdem ich von dem Komplott und Rubinas schmählichem Ende erfuhr. Erst der Tod hat mich mit ihrem Verhalten ausgesöhnt.“
„Also hat Mutter veranlasst, Rubina zu verfolgen und danach ihre Tochter als Hexe zu jagen?“ erkundigte Alwin sich. Er war zutiefst empört. „Es ist einfach, einer Toten die Schuld in die Schuhe zu schieben. Warum habt Ihr noch nicht die Hatz auf Isabella verbieten lassen?“
„Die Hexenjagd auf Rubinas Tochter hat Herzog Ulrich befohlen. Er setzte den Kürassier als Befehlshaber ein. Ich kann mich nicht gegen den Fürsten behaupten, bin nur sein Lehnsmann, wenngleich mir diese ganze Angelegenheit schwer im Magen liegt, zumal …“ Er brach ab und hielt sich die Hand vor den Mund.
„Sprecht, Vater. Alles muss raus. Macht reinen Tisch. Dann wird Euch leichter sein“, empfahl ihm Alwin, den seine in der Erregung geäußerten Worte bereits gereuten.
„Wenn das so einfach wäre. Eigentlich ist es albern, dass ein gläubiger Christ heidnischen Riten sein Ohr leiht. Und dennoch sind die Monate seit Rubinas Tod derart mysteriös verlaufen, dass ich geneigt bin, ihnen Beachtung zu schenken. Es ist nämlich unheimlich. Seitdem sie diese Welt verlassen hat, ist die Kette mit den blauen Perlen des Lebens aus meinem Geheimversteck verschwunden. Der Stein in der Wand sitzt noch genauso an seinem Platz vor der Schatulle wie ehedem. Aber sie ist leer. Dabei kenne nur ich allein die besagte Stelle. Wer also könnte Rubinas Geschenk sonst an sich genommen haben, wenn nicht die Eigentümerin selbst? Darum nehme ich an, dass die Mordserie ebenfalls auf ihr Konto geht.“
Der Fürst senkte die Stimme. Nur ein Flüstern war zu vernehmen.
„Die Seele meiner Jugendliebe findet keine Ruhe, bis sie sich an allen gerächt hat, die ihr oder ihrer Tochter Böses getan haben. Sie spukt im Schloss herum. Mitunter ist mir, als spürte ich ihren kalten Todeshauch neben mir. Und was besonders ans Mystische grenzt, sind meine sch laflosen Nächte, in denen ein riesiger Vogel auf meinem Fenstersims hockt und mir ‚Schuldig’ ins Gesicht schreit. Er weicht nicht von der Stelle, so sehr ich versuche, ihn
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