Die Heidehexe - Historischer Roman
erreicht.
„Stellt die Säcke auf den Boden. Entleeren werden wir sie allein“, wandte Victor sich an die Bediensteten und schloss die Tür hinter ihnen.
„Spann mich nicht auf die Folter“, drängte Christian und hüpfte neugierig von einem Bein aufs andere.
„Gemach, gemach. Sag mir erst, wer dein bester Freund ist, wer sein Leben für dich geben würde, in unverbrüchlicher Blutsbrüdertreue.“
„Du, du und nochmals du. Und nun möchte ich endlich den Inhalt der Säcke sehen. Was du hier vollziehst, ist ja nicht mehr feierlich.“
„Es soll aber feierlich sein, wenn du auf einen Schlag so viele Schätze dein Eigen nennst, dass wir morgen in den Krieg gegen den Kaiser und Tilly aufbrechen könnten. Wie gesagt. Alles gehört dir, von deinem getreuen Vasallen herbeigeschafft. Darum sollst auch du die Säcke selbst ausschütten.“
Christian machte sich bereits an den Verschnürungen zu schaffen, entknotete sie erstaunlich behände mit seinen klobigen Fingern.
Der große Augenblick nahte.
„Hör auf“, sagte Victor. „Ich werde dir das Geschenk doch lieber selbst überreichen“, und stülpte den Inhalt auf den Perserteppich, griff eine goldene Krone, bestückt mit Diamanten und Perlen, aus dem unermesslichen Vermögen, setzte sie dem Freund aufs Haupt.
„Sie steht dir gut. Wirf einen Blick in den Spiegel, um dich besser betrachten zu können.“ Er behängte Christian mit einer Handvoll glitzernder Ketten, streifte ihm dicke Siegelringe mit Rubinen, Jade und Saphiren über jeden Finger.
„Na, was sagst du jetzt?“, jubilierte Victor in der gleichen Erwartung wie ein Kind, das dem Kameraden zum Zeichen seiner Freundschaft den Lieblingsball schenkt, und nun dessen Reaktion entgegenfiebert.
Christian stand ungläubig da, vermochte sein Glück nicht zu fassen. Versunken in den Anblick des Goldes, vergaß er seine Umgebung, starrte mit Stielaugen auf das Vermögen.
Minutenlanges Schweigen beherrschte den Raum. Dann stupste Victor den Fürstensohn mit dem Zeigefinger an.
„Ist das genug?“, lachte er. Christian drückte den Freund so fest, dass er keine Luft mehr bekam, fasste ihn an den Händen, und beide tanzten durchs Zimmer, wie sie es in Jugendtagen getan hatten.
„Wer ist … der großzügige … Spender“, fragte er stammelnd.
„Meine Braut“, antwortete Victor. Die Worte entschlüpften ihm, ohne zu überlegen.
„Deine Braut? Hatte Annalena eine derartige Mitgift?“
„Nicht Annalena. Isabella stellt dir ihr gesamtes von Rubina geerbtes Vermögen für den Krieg zur Verfügung.“
„Das kann ich nicht annehmen. Bring es zurück. Sie muss ja jetzt bettelarm sein. Wie konntest du dich erdreisten, ihr den Besitz abzunehmen? Sprachst du nicht davon, dass deine Braut ihn dir hinterlassen hat?“
„Ganz recht. Meine Braut Isabella lässt es sich nicht nehmen, dir ihre Habe für die Glaubensfreiheit zu opfern. Ich wollte das Gold nicht, aber sie hat nicht locker gelassen.“
„Du redest wirr. Isabella ist seit Monaten verschwunden. Kein Mensch weiß, wo sie und ihr Bruder sich aufhalten. Nicht einmal die Hexenjäger können sie ausfindig machen. Und deine Braut ist sie nicht, Junge. Komm in die Wirklichkeit zurück.“
„Sie ist doch meine Braut. Wir werden noch in diesem Jahr Hochzeit halten, so wahr ich des Grafen von Grimmshausens Sohn bin.“
„Du bist ja nicht mehr bei dir. So ein Unsinn. Nimm den Kram und befördere ihn zu seinem Besitzer. Isabellas Gut soll mir nicht den Feldzug finanzieren. Wer weiß, wie viel der Überbringer für sich behalten hat.“
Victor war außer sich, packte den überrumpelten Bischof von Halberstadt am Kragen.
„Du willst mein Freund sein? Jemand, der mich des Diebstahls bezichtigt, ist das die längste Zeit gewesen.“
Sein Kopf glühte bei der infamen Anschuldigung. Er drehte sich um, hastete dem Ausgang zu. Nie wieder wollte er etwas von Christian hören oder sehen. Ihm war, als hätte dieser ihm das Schwert in die Seele gerammt. Der Schmerz, der ihn durchzuckte, glich dem, der durch einen Todeshieb verursacht wird.
Erst allmählich drang dem Wüterich die Tragweite seiner im Zorn herausposaunten Worte ins Bewusstsein. Er rannte hinter dem Freund her, bekam seinen Umhang zu fassen, bevor er die Tür erreichte, klammerte sich daran.
„Victor, liebster Victor, so war das nicht gemeint. Du hast mich missverstanden. Die Wahl meiner Sätze fiel ungeschickt aus. Natürlich würde ich dich niemals einer Straftat bezichtigen, das
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