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Die Heidehexe - Historischer Roman

Die Heidehexe - Historischer Roman

Titel: Die Heidehexe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gloria Frost
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zu verscheuchen. Von Zeit zu Zeit stößt er ein Krächzen aus, das wie höhnisches Lachen klingt, und dann höre ich ganz deutlich Rubinas rauchige Stimme aus allen Nischen flüstern:
     
    „Frag mich nicht
    nach den Zeichen, alter Mann.
    Es waren ihrer viele.
     
    Sind es die Lichter
    der weißen Nächte, die dich nicht
    schlafen lassen, alter Mann?
    Ist es die Zeit,
    deren Stundenbitter
    als zäher Wundbrei
    aus dem rostigen Uhrwerk quillt?
    Oder zitterst du
    beim Flügelschlag
    des schwarzen Kondors,
    der vor deinem Fenster kauert?
     
    Such unterm Schnee
    nach den blauen Perlen des Lebens .
    findest ihn
    nimmermehr,
    den Maikristall der Königin.
     
    Wenn in den Wäldern des Winters
    das Gestern jedes Heute mordet, weil
    flirrender Frost Verheißung frisst,
    ist der Purpurschnitter nicht weit.
    Sieh! Seine Sichel setzt an
    zur Mahd.
     
    Wahrlich. Die Ernte ist göttlich.“
     
    „Ist es wirklich Rubinas Stimme, die du hörst?“ Victor war skeptisch. Ein wenig amüsierte er sich, konnte es sich eigentlich bei dem riesigen Vogel nur um Pavor handeln, der ja beileibe kein Kondor war.
    „Wer außer Rubina kennt jene Koseworte für meine Liebste? Weiß doch niemand, dass ich sie meine Herzenskönigin nannte, die sie auch über ihren Tod hinaus geblieben ist.“
    „Mich gruselt es bei der Geschichte, Vater. Fast vermeine ich, den Atem  böser Geister ebenfalls zu fühlen“, stöhnte Alwin und schaute sich furchtsam nach allen Seiten um.
    „Ich glaube eher, dass Vaters schlechtes Gewissen ihm solch schaurige Träume vorgaukelt, die er für Wirklichkeit hältst“, schwächte Victor ab, obwohl auch ihm nicht ganz geheuer war, bauschten sich doch die Vorhänge der Fenster, derweil draußen kein Windchen wehte. Er schaute dem alten Grafen fest in die Augen. „Was ist überhaupt mit dem Maikristall der Königin gemeint? Du sprachst lediglich von irgendwelchen blauen Perlen des Lebens, deren du beraubt wurdest.“
    „ Das werde ich euch nicht verraten.“ Der Vater stockte, als wäre es ihm peinlich, darüber zu reden. „Aber glaubt mir, es ist schwarze Magie, meine Söhne. Wir Christen wissen, dass es viele unheilvolle Mächte gibt, die unser kleiner Verstand nicht begreift. Warum sonst sollten die Kirchen beider Konfessionen Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrennen? Weil sie mit Satan im Bunde sind.“
    „Deine Theorie widerspricht sich von allein, Vater. Wie könntest du im Hochsommer unterm Schnee nach den abhanden gekommenen Schätzen suchen? Noch nie hat es im Juli geschneit.“
    „Du wirst erleben, Victor, dass ich beim ersten Schneefall vom Höllenfürsten meiner menschliche Hülle beraubt werde, um als unsichtbarer Geist in alle Ewigkeit nach Rubinas blauen Perlen des Lebens suchen zu müssen, ohne sie je zu finden. Das ist die Strafe für mein verwerfliches Handeln.“
    Die Brüder wechselten beunruhigte Blicke. In ihrem Innersten befürchteten sie, dass der Graf mit seinen Behauptungen recht haben könnte, was sie ihm unter keinen Umständen eingestehen durften.
    „Wir wollen uns auf die Beerdigung konzentrieren. Wenn der Pastor kommt, sollten wir bereitliegen haben, was er für seine Predigt über das Leben und Wirken unserer lieben Frau Mutter an Informationen benötigt“, gab Alwin dem Gespräch eine geschickte Wendung.
    Die Tage bis zur Beisetzung verliefen ohne nennenswerte Zwischenfälle. Und alles, was Rang und Namen hatte, erschien denn auch, um der Gräfin die letzte Ehre zu erweisen.
    Sofort nach dem Leichenschmaus verabschiedete Victor sich, fuhr mit der leeren Kutsche nordwärts, zu seinem Heidemädchen.
     
     
    21
     
    Die Regenschauer der vergangenen Woche hatten der braunen Erde ein Festtagskleid aus sattem Bunt beschert. So weit das Auge reichte, leuchtete der rote Heideteppich, von weißen, rosa und purpurnen Heckenrosen durchbrochen. Blumen und Kräuter standen in voller Blüte. Sonnenschein liebkoste Pflanzen, die sich ihm mit Hingabe entgegenreckten.
    Isabella backte einen Kuchen für Barbara, die am siebenundzwanzigsten Juli ihren Geburtstag feiern wollte. Dreizehn Jahre würde sie morgen werden. Blutjung und bereits von schrecklichen Erfahrungen gezeichnet, dachte Isabella beim Teigkneten. Bernhard hatte vor ein paar Tagen in Lüneburg ein luftiges Sommerkleid und Unterwäsche für sie erstanden, vom letzten Geld zusammengekratzt. Nun fehlte nur noch ein riesiger Blumenstrauß, den Isabella abends pflücken wollte.
    Neugierig steckte die Kleine, deren blondes Wuschelhaar

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