Die Heilanstalt (German Edition)
kontrollierten Lächeln, dass er das viele Essen loswerden musste, was eine Weile gedauert habe. Da dies die Wahrheit war, wenn auch nur ein Teil von ihr, konnte er es selbstsicher vortragen, ohne dass sich ein verdächtiges Zittern in seine Stimme stahl. Melanie sah ihn noch einen Moment lang prüfend an und wusste nicht recht, was sie von seinen Augen halten sollte. Da Patrick ihrem Blick aber scheinbar mühelos standhielt, gab sie schließlich nach.
»Wohin wollen wir denn?«, fragte sie und beendete somit ihre Kontrolle, worauf Patrick sich eines erleichterten Seufzers nicht erwehren konnte: Sie hatte seinen erneuten Teekonsum nicht bemerkt. Patrick hatte seine Bestellung auf der anderen Seite der Theke aufgegeben, von wo aus Melanie ihn nicht hatte sehen können. Dort war es ihm durch eine erhebliche Willensleistung, auf die er durchaus stolz war, gelungen, den Becher bloß zur Hälfte zu leeren und den Rest stehen zu lassen. Auf diese Weise war der übermächtige Drang auf ein erträgliches Maß abgeklungen, während der Rausch so gering blieb, dass er ihn mit einiger Anstrengung verbergen konnte. Patrick war nicht ganz sicher gewesen, ob es ihm gelingen würde, den Konsum vor Melanie zu verheimlichen. Aber allem Anschein nach funktionierte es, und er nahm sich in diesem Augenblick vor, von nun an immer so zu verfahren. Auf diese Weise schritt seine Heilung zuverlässig voran, das Wohlgefühl erfüllte hinlänglich sein Inneres, und die lästigen Sorgen, die in seinem Kopf herumspukten, sobald seine Sinne sich allzu sehr schärften, wurden auf angenehme Weise unterdrückt. Zugleich blieb Melanie in dem Glauben, Patrick lasse von dem Tee ab, sodass ihr Neid und der damit einhergehende Kummer von nun an hoffentlich ausblieben.
Patrick überlegte, was Melanie Vergnügen bereiten würde und woran er auch selbst Spaß hätte. Zunächst war er unschlüssig, doch er traf seine Entscheidung in dem Moment, als er aus der Ferne das hölzerne Poltern umfallender Kegel hörte.
»Wollen wir eine Runde Bowling spielen?«
Sie nickte schmunzelnd. »Gern. Vorausgesetzt, wir müssen nicht ewig auf eine freie Bahn warten.«
Patrick hielt ihr wie ein Kavalier den gebeugten Unterarm hin. Melanie hakte sich entzückt bei ihm ein. Gemeinsam schritten sie zum hinteren Ende des Saals, wo die Bahnen sich parallel bis zur Wand erstreckten.
Noch einmal blickte sie ihm tief in die Augen, die eindeutig wieder klarer und lebhafter waren.
»Patrick?«
Er sah sie fragend an.
Sie lächelte und sagte: »So hab ich dich kennengelernt.«
Melanie schmiegte sich enger an ihn und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Patrick verstand nicht ganz und erwiderte daher nichts. Vielleicht hätte er herausgefunden, worauf sie anspielte, doch er hatte zum Nachdenken keine Lust und war im Grunde nur froh, dass Melanie ihre ansteckende Trübsal nun offenbar überwunden hatte.
Sie hatten Glück; als Patrick und Melanie die Bowlingbahnen erreichten, hatte eine vierköpfige Gruppe ihr Spiel kürzlich beendet und zog in diesem Moment lachend von dannen. Bevor andere ihnen zuvorkommen konnten, belegten die beiden die Sitzplätze vor der frei gewordenen Bahn und signalisierten hinzustoßenden Patienten, dass sie am liebsten zu zweit spielen wollten. Da alle bester Laune waren, nahm man es ihnen nicht übel und ließ sie gewähren. Melanie nahm auf einem der gepolsterten Plastikstühle vor der Bahn Platz, während Patrick voller Vorfreude ihre Namen in den Computer eingab, die daraufhin auf einem in der Höhe angebrachten Bildschirm erschienen. Melanie war nervös, da sie zuvor nur selten und zuletzt vor vielen Jahren Bowling gespielt hatte. Vermutlich durfte sie froh sein, wenn es ihr gelänge, die Kugel auf der Bahn zu halten und bis zu den Kegeln zu befördern, ehe sie links oder rechts in die Seitenrinne plumpste. Entsprechend missfiel ihr der Umstand, dass zahlreiche Leute im Hintergrund ihre Würfe beobachten konnten; schon vom weit entfernten Eingang des Unterhaltungssaals aus waren die Bahnen sichtbar.
Patrick rieb sich grinsend die Hände und nahm eine der schwersten Kugeln vom Band. Er steckte Daumen, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand in die Löcher und hob die Kugel, unterstützt von der linken Hand, hoch zur Brust. Dann nahm er mit eng beisammenstehenden Beinen eine leicht nach vorn geneigte Haltung ein und richtete den Blick konzentriert auf die Kegel. Schon beim Anlaufen präsentierte er eine ausgefeilte Technik, machte kleine,
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