Die Heilanstalt (German Edition)
er Melanie den Rücken zugekehrt hatte, ließ er die anstrengende Fassade fallen, hörte zu lächeln auf und verkrampfte das Gesicht unter Schmerzen.
Sterbende Gedanken
Die Herrentoilette war ebenso sauber wie die Damentoilette und mit dem gleichen hellen Marmor verziert. Auch hier rieselte sanfte Musik aus verborgenen Lautsprechern, und eine Reihe Waschbecken befand sich unter einem langen Spiegel. Verschließbare Kabinen gab es weniger als auf der Damentoilette, dafür einige voneinander abgetrennte Urinale.
Patrick fand die Toilette menschenleer vor.
Muss denn von all den Leuten niemand pinkeln? , fragte er sich verwundert, obwohl auch seine eigene Blase gar nicht drückte. Stattdessen musste er die Speisenberge vom Frühstück und Mittagessen fortbringen, die ihm wie Ziegelsteine im Magen lagen. Patrick taumelte auf eine Kabine zu – seit er Melanies Blick nicht mehr im Nacken hatte, brauchte er sich nicht länger um einen geraden Gang zu bemühen –, trat ein und schob von innen den Riegel vor die Tür.
Nach dem Stuhlgang war sein Magen angenehm entlastet, doch zugleich wieder von einem beklemmenden Ziehen erfüllt. Sein Körper fühlte sich träge an, als würden Bleigewichte an seinen Armen und Beinen baumeln. Das Gefühl des Schwebens, das ihn noch auf dem Weg hierher begleitet hatte, war vergangen und eine erdrückende Schwerfälligkeit an seine Stelle getreten. Sein Verstand war auf unangenehme Weise präsent, und seine Sinne waren wieder weitgehend erwacht, nur um ein Gefühl des Unwohlseins in ihm zu verbreiten.
Mit sicheren Schritten, ganz ohne zu torkeln, näherte er sich dem großen Spiegel und betrachtete in einem nur noch leicht wackelnden Blickfeld sein Gesicht. Die Haut war aschfahl, und seine Augen waren beängstigend leer, seltsam ins Nichts schielend. Patrick schreckte vor seinem Spiegelbild zurück. Er beugte sich über eines der Waschbecken und schlug sich kaltes Wasser ins Gesicht. Als er wieder in den Spiegel sah, war die Lebendigkeit ein wenig in seine Augen zurückgekehrt, und sein Gesichtsfeld hatte ganz zu schwanken aufgehört. Seine Sinne waren wieder geschärft, sodass ihn seine Erscheinung noch mehr ängstigte als zuvor; sein Gesicht war ohne Farbe, abgesehen von den Ringen unter seinen Augen. Seine Lippen waren rissig, und das Haar klebte verschwitzt am Kopf.
Ich sehe aus wie eine Moorleiche , dachte er entsetzt und vermochte den Blick nicht vom Spiegel abzuwenden. Mit offenem Mund und zitternden Augen betrachtete er das kreidebleiche Gesicht vor sich und konnte kaum glauben, dass es sein eigenes war. Ein Wirbel von Gedanken kreiste in seinem Kopf, der unbequeme Empfindungen mit sich brachte, Gefühle und Ahnungen von etwas Düsterem, das im Wesen dieses Ortes verborgen lag. Patrick bekam es nicht zu fassen; seine Denkfähigkeit war wieder zum Leben erwacht, aber noch nicht völlig frei. Sein Verstand steckte in einem klebrigen Sumpf, aus dem er sich strampelnd zu befreien suchte, und ganz ähnlich war es um seine Erinnerung bestellt. Umrisshaft entsann er sich der Bedenken und Vorbehalte, die ihn am Vormittag erfüllt hatten, vor wenigen Stunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten. Aber er konnte den Gedankenwirbel nicht kontrollieren, konnte ihn weder lenken noch fokussieren. Patrick fehlte jede Konzentration aufgrund des nagenden Empfindens, das wieder über ihn hereingebrochen war und mit jedem Augenblick zunahm.
Ich habe so schrecklichen Durst , dachte er, mochte aber nicht das Wasser trinken, das auf seine Hände prasselte. Er wusste, wonach er sich sehnte, wusste, was allein ihm helfen konnte. Alles in ihm schrie nach dem Tee.
Bitte trink ihn nicht mehr , sprach Melanies Stimme in seinem Kopf. Er macht etwas mit dir … mit allen Leuten hier … etwas Schlimmes.
Patricks Kehle war so trocken wie ein verdorrter Acker, auf den seit Monaten kein Tropfen Regen niedergegangen war. Seine Lippen waren spröde und seine Augen gereizt. Eine regelrechte Übelkeit übermannte ihn, und er musste sich ans Waschbecken klammern, um sich auf den Beinen zu halten. Patrick biss die Zähne aufeinander und schüttelte den Kopf.
Ich habe ganz einfach wieder Durst. Wegen all der Leute ist es so schrecklich warm im Unterhaltungszentrum, dass ich schwitze und eine Menge Flüssigkeit verliere.
Aber Patrick wusste, wie fadenscheinig diese Erklärung war, denn er hätte doch das Wasser trinken können, das aus dem Hahn ins Waschbecken strömte.
Ich will durch die Wirkung des Tees
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