Die Heilanstalt (German Edition)
eben schnellstmöglich meine Genesung voranbringen , dachte er als Nächstes. Je eher von Wallenstein mich als geheilt erachtet, umso früher darf ich meine Koffer packen und von hier verschwinden.
Dieser Gedanke war zwar glaubhafter als der Erste, aber entsprach ebenso wenig der Wahrheit. Patrick kannte den wirklichen Grund für seinen hohen Teekonsum, wusste es in der Tiefe seines Verstandes, und für einen kurzen Augenblick, nur für die Dauer eines Wimpernschlags, blitzte die Einsicht klar erkennbar in ihm auf.
Auf unerklärliche Weise bin ich von diesem Tee abhängig. Melanie hat recht: er bewirkt etwas in mir, das sich gut anfühlt, aber in Wirklichkeit schädlich ist, etwas, das meine Sinne verdreht und wie Säure meinen Verstand zersetzt.
Patrick atmete stoßweise, während ihm plötzlich wieder jene kritischen Fragen in den Sinn kamen, die er sich kurz nach dem Frühstück gestellt hatte.
Warum gibt es in dieser Anstalt keine Fenster, überhaupt keinen Weg hinaus? Wie bin ich hierhergekommen? Was geschah vor meiner Ankunft? Wieso fehlt mir jede Erinnerung an mein altes Leben? Weswegen bin ich eigentlich hier in Behandlung? Wovon werde ich geheilt?
Noch immer blickte Patrick in den Spiegel, sah sein vor Blässe fast weißes Gesicht, das einem Todkranken – oder gar einem Toten – hätte gehören können, blickte in seine geröteten Augen, unter denen dunkle Ringe standen, und schlug sich panisch noch einmal Wasser ins Gesicht. Stöhnend rieb er sich die Schläfen und spürte den unwiderstehlichen Drang, der ihn inzwischen in einen festen Klammergriff genommen hatte, der mit jeder Minute stärker wurde und in Kürze, das wusste er, unerträglich wäre.
Die Gedanken verharrten in seinem Verstand, der so klar war wie seit einigen Stunden nicht mehr. Doch Patrick konnte sie nicht festhalten und in eine sinnvolle Ordnung bringen; die Worte wirbelten in seinem Kopf umher wie Millionen Schneeflocken im Sturm, die sich zu einem weißen Rauschen verbanden. Der Durst beherrschte ihn jetzt wie eine Naturgewalt und machte jedes zusammenhängende Denken unmöglich. Patrick atmete hastig, hyperventilierte förmlich und kämpfte, sich nicht übergeben zu müssen.
Melanie hat recht , wogte es in seinem Kopf. Der Tee … er raubt mir die Sinne, macht mich abhängig …
Patricks Willenskraft schwand immer mehr, ganz allmählich verblasste sein Verstand, und sein Instinkt übernahm die Kontrolle. Eine Weile vermochte er noch zu widerstehen, blieb mit verkrampftem Gesicht, wo er war, und wollte sich an seine Vernunft klammern, wollte die kritischen Gedanken im Auge behalten und nicht mehr loslassen. Aber der Drang entwickelte sich letztlich zu einem wahren Schmerz, der alles vergessen machte, was ihm durch den Kopf ging, und nur das Bild des Tees übrig ließ, das er voller Sehnsucht vor dem geistigen Auge betrachtete. Patricks Wille brach, und der Kampf endete in einer unvermeidlichen Niederlage. Er spürte den Schweiß, der aus allen Poren seines Körpers ausgebrochen war, und zitterte so sehr, dass seine Zähne klapperten. Patrick wandte den Blick vom Spiegel ab, dessen Widerschein ihn nicht mehr kümmerte, machte sich auf und stürmte aus der Toilette. Im Unterhaltungssaal drängte er sich durch die Menschenmengen und stieß Patienten beiseite, die ihm den Weg versperrten.
Sie hat recht , dachte er noch einmal in einem letzten mentalen Kraftakt. Der Tee … er …
Aber die Gedanken verflogen und zerfielen in sinnlose Einzelteile. Seine Wahrnehmung richtete sich nur noch auf die Theke, die er in der Ferne bereits sah und zu der er sich ungestüm einen Weg bahnte.
Der Tee, er raubt … sie hat recht, der Tee …
Nur noch wirr und bruchstückhaft schwirrten die Gedanken zuletzt in seinem Kopf, als inhaltsleere Worthülsen einstiger Bedeutsamkeiten. Die Vernunft war vollständig verloren und das Denken endgültig vergangen, als Patrick schnaufend die Theke erreichte, den Barkeepern beide Arme entgegenstreckte und seine Stimme schimpfend unter die vielen anderen mischte.
Spieltrieb
»Also dann, wollen wir?«
Patrick sprach die Worte recht klar, und seine Miene wirkte nüchtern und entspannt. Melanie drehte den Kopf in seine Richtung und schaute ihm zunächst nur stumm in die Augen. Patrick bemühte sich um einen festen Blick. Doch Melanie nahm sich Zeit und schien von Zweifeln erfüllt.
»Warst ganz schön lange weg«, meinte sie und setzte ihren Test auf diese Weise fort. Patrick erwiderte mit einem
Weitere Kostenlose Bücher