Die Heilanstalt (German Edition)
beiden unsagbar viel Spaß, neckten sich gegenseitig bei Fehlwürfen und lagen sich nach der letzten Runde lachend in den Armen. Am Ende führte Patrick deutlich nach Punkten, doch es hatte schon lange niemand mehr auf den Spielstand geachtet.
Patrick hielt beide Arme um Melanies Hüfte geschlungen. »Das war hoffentlich nicht unser letztes Duell, die Dame.«
Sie schmunzelte. »Keineswegs, der Herr. Beim nächsten Mal lasse ich dich aber nicht so einfach gewinnen.«
Patrick warf lachend den Kopf in den Nacken und sah Melanie daraufhin eindringlich an, während sie seinen Blick auf gleiche Weise erwiderte. Eine Weile standen sie schweigsam so da und sahen sich lächelnd in die Augen.
»Küss sie! Küss sie!«, ertönte es chorartig aus dem Hintergrund.
Patrick und Melanie senkten peinlich berührt den Blick und lösten dann einvernehmlich die Umarmung. Ein enttäuschtes Raunen ging durch den Saal, einige buhten scherzhaft. Patrick winkte lachend ab, Melanie hatte vor Verlegenheit einen roten Kopf. Eng beieinander verließen sie die Bahn, derweil die Zuschauer ihnen wie zwei Bühnendarstellern nach der Aufführung herzlichen Beifall spendeten.
Die erfundene Wahrheit
Im Anschluss an das Bowlingspiel sehnten Melanie und Patrick sich gleichermaßen nach Ruhe und Erholung. Entsprechend rasch waren sie sich einig, vorerst dem Trubel des Unterhaltungszentrums zu entfliehen und sich, wie schon nach dem Mittagsmahl, auf einer der Bänke im großen Hof niederzulassen.
Während Patrick gleich wieder zum Dösen die Augen schloss, blieb Melanie wach und mit ihren Gedanken allein. Gemischte Gefühle durchströmten ihr Inneres. Als Patrick ihren Namen in den Bowlingcomputer eingegeben hatte und dieser in Großbuchstaben auf dem erhöhten Bildschirm erschienen war, hatte sie aufspringen wollen, um den Eintrag zu korrigieren.
Ich heiße nicht Melanie! , hatte eine Stimme in ihrem Kopf geschrien. Jene Stimme, die bereits nach dem Mittagessen hier im Hof zu ihr gesprochen und sich etwas später auf der Toilette noch einmal zu Wort gemeldet hatte. Jedes Mal, wenn Stille einkehrte und ihre Gedanken sich frei entfalteten, ertönte sie wieder im Zentrum ihres Verstandes, jene Stimme der Vernunft, und gemahnte Melanie an die Wahrheit.
Du kennst die Welt da draußen und weißt, wie es um sie bestellt ist.
Auch jetzt hörte sie diese Stimme wieder in ihrem Kopf; wie schon zuvor redete sie belehrend auf Melanie ein, forderte von ihr die überfällige Einsicht und wollte sie zum Handeln bewegen. Jedoch war sie leiser als beim letzten Mal und klang undeutlich wie aus weiter Ferne. Der Grund war, dass Melanie ihre rationalen Gedanken wieder unterdrückte, so wie sie es während der gesamten zwei Wochen ihres Aufenthalts getan hatte. Sie empfand die belehrende Stimme in ihrem Kopf nicht mehr, wie noch in den letzten Stunden, als Wegweiser, sondern als Quälgeist. Sie stieß sie mental zurück, blockierte sie. Ohne die belastenden Gedanken an jenes zweite Leben, das wie ein realer Albtraum in ihrer Erinnerung herumgeisterte, war alles so viel leichter und erträglicher.
Lächelnd sah sie den schlummernden Patrick an, dessen Kopf in den Nacken gefallen war und der mit halb offenem Mund leise schnarchte. Eine kribbelnde Welle durchwogte Melanie, während sie ihn beobachtete, und sie spürte, dass sich für sie ein Glück anbahnte, das sie nicht durch wirre Einbildungen gefährdet wissen wollte. Was sie so sehr befürchtet hatte, erachtete sie als widerlegt, seit Patrick aus freien Stücken von dem Tee abgelassen hatte; Melanie hatte ihn nur zu bitten gebraucht, und ganz widerstandslos hatte er verzichtet.
Der Tee besitzt keine schädliche Wirkung , sprach seither eine andere Stimme in ihr, die Stimme der Besänftigung. Du bildest dir manche Dummheit ein und hältst sie irgendwann für wahr.
Diese tröstliche Stimme war ihr vertrauter als jene der Vernunft. Sie hatte seit Melanies Ankunft im Sanatorium unablässig zu ihr gesprochen und stets ihre aufgewühlte Seele beruhigt. Sie sagte Dinge wie: Du heißt Melanie Kahlbach und nicht anders oder: Jenes andere Leben, das in deiner Erinnerung herumspukt, ist nur eine absurde Illusion, vermutlich ausgelöst durch deine Kopfverletzung , mitunter auch: Herr von Wallenstein hat dir doch erklärt, weshalb manche Patienten ein so gruseliges Erscheinungsbild besitzen und wie Zombies durch die Flure schleichen: Sie sind krank, aus diesem Grund sind sie ja hier . Gerade in diesem Moment sprach die
Weitere Kostenlose Bücher