Die Heilanstalt (German Edition)
Heilung, und hatte es einzig aufgrund jener handschriftlichen Zeilen geschafft. Sie hatten etwas in ihm wieder zum Leben erweckt, das sich in einem tiefen, todesähnlichen Schlaf befunden hatte. Viel deutlicher noch als zuvor spürte Patrick jetzt jene vergrabene Erinnerung und erkannte ihre Konturen wie eine Silhouette, die in einem Nebelfeld auftaucht. Patrick musste tiefer schürfen, musste es zutage fördern, musste graben. Doch er merkte, dazu musste er sich zunächst vom letzten Rest des Rausches befreien, der ihn seit seiner Ankunft an diesem Ort wie eine scheinbar heilkräftige, doch in Wahrheit hochgiftige Klette umrankte. Er musste sich vollständig von jener Betäubung lösen, die seine Gedanken im Keim erstickte, bevor sie sich zu einem sinnvollen Ganzen fügen konnten.
Hektisch öffnete er den Hahn am Becken und schlug sich kaltes Wasser ins Gesicht; ein Dutzend Mal wiederholte er diese Prozedur, benetzte auch den Nacken und den Hals, knetete seine Wangen und rieb sich kräftig die Augen. Es half, aber genügte nicht.
Patrick riss sich das Gewand vom Leib, zog die Unterhose aus und eilte unter die Dusche. Er stellte die niedrigste Temperatur ein, die der Regler hergab, und kreischte, als das eiskalte Wasser auf ihn niederprasselte. Schnaufend schrubbte er seinen Körper mit den Händen ab, als wollte er sich von einer ätzenden Säure reinigen, ertrug die Kälte so lang es ihm möglich war und merkte, dass seine Sinne geschärft wurden wie stumpfe Messer am Schleifstein. Anschließend rubbelte er sich mit einem Handtuch ab, band es sich um die Hüfte und verließ das Badezimmer, um vor den ovalen Spiegel zu treten. Als er zum ersten Mal seit langer Zeit ungetrübt und klar sein Abbild erkannte, stockte ihm der Atem. Seine Haut war kreideweiß, die Lippen waren vor Trockenheit aufgesprungen und die Tränensäcke violett verfärbt. Seine Augen waren jedoch nicht länger von jener gläsernen Leblosigkeit geprägt; Glanz und Emotion waren in sie zurückgekehrt, die Iris blitzte vor Angst und Betroffenheit. Patrick betastete sein Gesicht, als wollte er sich überzeugen, dass es tatsächlich seines war und ihm kein Trickspiegel ein hässliches Zerrbild zeigte. Aber er wusste, es war die Illusion, die er überwunden hatte, und die Wirklichkeit, die nun wieder an ihre Stelle getreten war. Patrick legte die Stirn in Falten und wich vom Spiegel zurück.
Er durchforstete sein Gedächtnis und wollte die vordergründigen Erinnerungen an sein Leben als Patrick Baumgartner durchdringen, wollte sie mit der Machete niedermetzeln wie hochgewachsenes Unkraut, um endlich wieder zu erblicken, was hinter ihnen lag und für immer verheimlicht werden sollte.
Patrick durchbrach die falschen Eindrücke wie eine Maske aus Wachs, die man ihm aufgezwungen hatte, zerbröselte sie stückweise, um das wahre Bild zu offenbaren, das darunter lag.
Ätsch, das ist jetzt meins, kannst ja noch eine Scheibe trockenes Schwarzbrot essen!
Patrick kämpfte sich durch den künstlichen Vorhang, der das Natürliche verbarg, drang immer tiefer in sein Gedächtnis vor, um den Urgrund zu erreichen.
Wenn Mama und Papa das rauskriegen, machen die mir die Hölle heiß, aber vorher mach ich dich kalt, verstanden? Die Kippe hast du dir nur eingebildet, klar?
Patrick stieß auf schier unüberwindlichen Widerstand, aber gab nicht auf, grub weiter und suchte die Fassade mit aller Kraft zu durchstoßen.
Guck mal, die da hinten, ja, die mit dem geilen Arsch! Wäre die nichts für dich, Kumpel? Na los, nicht so schüchtern, geh schon hin, sonst übernehme ich das!
Das Vorwärtskommen verlief so träge, als würde er durch hüfthohes Gewässer waten, doch er spürte, dass er seinem Ziel näherkam.
Wegen Kopfschmerzen wollen Sie mehrere Tage wegbleiben? Soll das ein Witz sein? Ich brauche den Bericht für übernächste Woche! Danach kann ich nichts mehr damit anfangen, dann passt er nicht mehr zur Themenreihe! Also gehen Sie sofort zurück an Ihren Arbeitsplatz und hauen Sie in die Tasten, aber dalli!
Unermüdlich schabte Patrick den Schmutz der unwahren Erinnerungen ab, legte das Verdeckte unter Schmerzen frei, blieb bis zuletzt standhaft und erzwang schließlich den Durchbruch.
Du bist ein lieber Kerl …
Patrick zuckte zusammen wie ein Schatzsucher, der beim Graben im weichen Sand auf festen Untergrund stößt. Aufgeregt verharrte er bei jener vertrauten Stimme, ließ sie immer wieder in seinen Gedanken erschallen und wusste sogleich ohne jeden
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