Die Heilanstalt (German Edition)
in keinen stabilen Rahmen gefasst. Das Stechen in seinem Kopf war innerhalb der letzten Minuten so schlimm geworden, dass er sich mit faltiger Stirn die Schläfen massierte. Dabei stellte Patrick fest, dass es mehr als nur Kopfschmerzen waren; sein ganzer Körper litt unter einer unsichtbaren Last, als hätte sich die Schwerkraft verdreifacht. Zudem hatte er einen unbeschreiblichen Durst, der ihm regelrechte Halsschmerzen verursachte. Patrick visierte die grobe Richtung der Teekanne an und setzte sich schleppend in Bewegung.
Ich brauche bloß einen einzigen Becher , dachte er. Dann wird es mir gleich besser gehen. Anschließend werde ich kurz duschen und mich danach zum Speisesaal begeben, in Ruhe frühstücken und die tollen Angebote des Hauses nutzen. Danach werde ich im Hallenbad ein paar Bahnen schwimmen und die Sauna genießen, später vielleicht noch einmal eine Wanderung durch den Wandelgarten unternehmen. Auf jeden Fall aber will ich meine Schüchternheit überwinden und nette Leute kennenlernen. Dazu ist dieser Ort doch wie geschaffen; vielleicht finde ich hier sogar eine hübsche, junge Dame, die eine Schwäche für Zeitungsredakteure hat, ist das so unwahrscheinlich? Gestern ist mir das zwar nicht gelungen, aber es war ja auch mein erster Tag; heute wird es anders, immerhin bin ich jetzt mit allem vertraut und …
Plötzlich tanzten Patrick schwarze Sterne vor den Augen, seine Beine wackelten, und seine Kehle schnürte sich zu. Er hielt die ersehnte Teekanne noch einen Moment lang im Blick und wollte sich an den Rand des Waschbeckens klammern. Doch die Formen verwackelten, und die Welt geriet aus den Fugen; seine Hände verfehlten das Ziel, woraufhin Patrick polternd zu Boden stürzte. Dort blieb er einen Moment lang liegen und drehte sich dann ächzend auf den Rücken, um mit hastig arbeitender Brust zu verschnaufen.
Meine Güte … was ist mit mir los?
Allmählich beruhigte sich sein Puls und verlangsamte sich seine Atmung. Er wollte gerade versuchen wieder auf die Beine zu kommen, als er etwas in der Seitentasche seines Gewands spürte. Patrick hielt überrascht inne und befühlte es zunächst von außen, ließ es knistern und rascheln; er zögerte einen Augenblick, hatte seltsamerweise Furcht, es hervorzuholen, aber griff dann schließlich doch hinein. Er zog ein kleines Stück Papier aus der Tasche, das mehrmals gefaltet war. Patrick betrachtete es mit zusammengezogenen Brauen und dachte angestrengt nach …
Lies es allein in deinem Zimmer …
Der Gedanke zerriss, als seine Migräne auf einmal so stark wurde wie nie zuvor. Patrick fasste sich wimmernd an die Schläfen, konnte vor Schmerz nicht einmal schreien, glaubte, ja hoffte , im nächsten Moment das Bewusstsein zu verlieren. Doch dann war der Anfall wieder vorüber, so plötzlich, wie er gekommen war. Patrick war schweißnass und tief erschrocken. Er fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht und wusste, dass er den Tee brauchte, dass er seine einzige Rettung war, seine letzte Erlösung.
Doch anstatt aufzustehen und rasch einen Becher zu füllen, verweilte Patrick am Boden und sah wieder auf das Papier in seinen Händen. Er zweifelte einen Moment lang mit zitterndem Blick, bevor er seinen ganzen Mut zusammennahm und den Zettel entfaltete. Handgeschriebene Buchstaben erschienen vor seinen Augen, doch er vermochte sie nicht gleich zu lesen. Immer wieder strebte sein Blick auseinander, ließ sich nicht auf einen Punkt konzentrieren; die Formen rotierten, überkreuzten und überschlugen sich.
Patrick rieb sich das verschwitzte Gesicht und kniff die Augen zusammen. Dann versuchte er es noch einmal und konnte die einzelnen Buchstaben nun einigermaßen auseinanderhalten.
Die verlorene Erinnerung
Du bist nicht Patrick Baumgartner.
Trink nicht den Tee, er verschleiert deine Erinnerung.
Nimm nicht die blaue Pille, sie täuscht dich.
Es ist möglich, davon loszukommen. Bitte sei stark, ich muss dich wiedersehen!
Judith (Melanie)
Patrick hob den Kopf und starrte ins Leere, während die handgeschriebenen Worte in seinem Verstand widerhallten. Natürlich war er weit davon entfernt, ihren Sinn zu begreifen, doch tief im Inneren verspürte er ein eigentümliches Gefühl der Besinnung, kaum merklich und wie unter einer Schlammschicht begraben. In seiner Magengrube entstand ein Glühen, eine besondere Art der Aufregung, in die sich Freude und Fassungslosigkeit mischten, so als würde es bei der Beerdigung eines geliebten Menschen plötzlich von
Weitere Kostenlose Bücher