Die Heilanstalt (German Edition)
schadet!«
Von Wallenstein schmunzelte und wartete geduldig auf eine Antwort; er stand nun direkt vor Janick, der den Blick gesenkt hatte, um seine klaren Augen zu verbergen.
»Ein wenig Übelkeit, ja«, erwiderte er zaghaft und versuchte den leiernden Ton des Teerausches zu imitieren. »Heute Morgen nach dem Aufwachen fühlte ich mich ein wenig krank und blieb vorsichtshalber im Bett. Aber es geht mir schon erheblich besser, haben Sie vielen Dank.«
Von Wallenstein zögerte und hob misstrauisch eine Braue. »Aha, ach so.«
Janick hielt nervös den Blick gesenkt. »Wirklich, es ist kaum der Rede wert. Ich möchte jetzt nur etwas essen, mein Appetit hat sich zurückgemeldet. Außerdem habe ich schrecklichen Durst und sehne mich nach dem Wundermittel des Hauses.«
Janick lächelte und wollte sich am Therapeuten vorbeidrängen, doch dieser hielt ihn am Unterarm fest.
»Na, ist es denn so eilig? Gewähren Sie dem Arzt Ihres Vertrauens doch rasch eine Zwischendiagnose, wären Sie so freundlich? Nur eine kurze Prüfung Ihres Zustands. Auch wenn ich sicher bin, dass Sie über Nacht schon wieder sagenhaft vorangekommen sind, so ist Vorsicht doch bekanntlich besser als Nachsicht« Von Wallenstein lachte. »Die Augen verraten mehr über die Seele eines Menschen als alles andere, sie sind der direkte Zugang zum Geist, so glaubten schon die alten Chinesen! Drum sehen Sie mich doch bitte einmal an, Herr Baumgartner, damit ich Sie untersuchen kann. Tun Sie mir den Gefallen?«
Von Wallenstein klang weiterhin ruhig und gelassen, doch er umklammerte Janicks Unterarm so fest, dass es schmerzte. Janicks Herz schlug schneller, während er weiterhin auf den Teppich starrte. »Ehrlich, mir fehlt nichts. Mein Magen knurrt nur, und meine Kehle ist staubtrocken« Er versuchte, sich vom Griff des Therapeuten zu lösen, doch dieser packte umso kräftiger zu.
»Ich kann Sie nicht ohne Untersuchung zu den anderen Gästen lassen! Ich bestehe darauf, dass Sie mich ansehen, Herr Baumgartner!«
Von Wallenstein verlieh seiner Stimme erstmals eine gewisse Strenge; es war der raue Tonfall eines ansonsten netten Lehrers, der einen widerspenstigen Schüler in die Schranken weist.
Janick wehrte sich noch einen Augenblick lang gegen die Umklammerung des Therapeuten, doch sah schließlich ein, dass es keinen Ausweg gab. Eine gewaltige Angst überkam ihn, die sich kurz darauf in Wut verwandelte.
Janick hob den Kopf und blickte von Wallenstein direkt ins Gesicht; seine Augen waren zwei blitzende Kugeln von Lebenskraft und Emotion. Der Therapeut erschrak und öffnete zittrig den Mund, um etwas zu sagen. Doch Janick ließ die rechte Hand hochschnellen, packte von Wallensteins Kehle und drückte zu. Der Therapeut röchelte und verdrehte die Augen, während er sich vergeblich zu befreien suchte.
Derweil legte Janick seine Lippen ans linke Ohr des Arztes und knurrte mit scharf umrissener Aussprache: »Mein Name ist Menders! Janick Menders!«
Dann stieß er den Therapeuten zu Boden, der sich dort wie in Krämpfen wand, bestürzt an den Hals fasste und keuchend nach Luft schnappte. Janick starrte von Wallenstein entsetzt an, als könnte er nicht fassen, welchen Schaden er angerichtet hatte. Ihm wurde schlagartig bewusst, dass nunmehr jede Möglichkeit verloren war, Thomas und Judith zu retten. Allenfalls die eigene Flucht konnte noch gelingen.
Janick begann zu rennen. Ungestüm lief er den langen Korridor hinab, ließ den Teppich unter seinen Füßen davonfliegen und schoss an unzähligen Zimmertüren vorbei. Auf halber Strecke zum Speisesaal blickte Janick über die Schulter zurück und sah, dass von Wallenstein – immer noch erschöpft am Boden liegend – ein Funkgerät in der Hand hielt und aufgeregt hineinsprach. Janicks Magen schnürte sich zu; von nun an war ihm das Wachpersonal auf den Fersen. So schnell seine Beine ihn trugen, sprintete er weiter den Flur entlang; sein Herz hämmerte wild in der Brust, und sein Atem raste. Bald erreichte Janick die Flügeltür zum Speisesaal und stieß sie schmetternd auf. Der große Raum war fast menschenleer, nur ein paar Patienten stritten sich wie gewöhnlich um die Teekanne auf dem Buffettisch und hielten kurz inne, um zu sehen, woher solcher Lärm kam. Links aus der Flügeltür zur Zweiten Abteilung stürmten drei glatzköpfige, muskulöse Männer in kurzärmeligen, weißen Hemden. Einer von ihnen hielt ein Funkgerät in der Hand. Wäre Janick bei jenem »Zwischenfall« nicht in einem tiefen Rausch
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