Die Heilanstalt (German Edition)
Wenige Augenblicke später verlor er den Boden unter den Füßen, als die Stufen sich zu einer steilen Bahn glätteten. Janick kreischte vor Schreck, stürzte der Länge nach hin und rutschte wie auf einem vereisten Hang abwärts. Er strampelte verzweifelt mit den Beinen und griff mit den Händen ins Leere, da er nichts fand, woran er sich festhalten konnte. Unaufhaltsam rutschte er hinab, während das Gelächter der Männer anschwoll. Janick spürte, wie seine Hände sich auf dem gerillten Untergrund blutig schabten, und kämpfte bis zuletzt um Halt. Doch es dauerte nur Sekunden, bis er den mühsam hinaufgestiegenen Weg vollständig wieder hinab geschlittert war. Am unteren Ende der Rolltreppe streckte einer der Männer grinsend seine breiten Arme nach ihm aus, um ihn zu ergreifen. Doch Janick wollte nicht aufgeben, brüllte vor Wut und trat dem Mann mit voller Wucht ins Gesicht. Ein furchtbares Krachen war zu hören, als dessen Nase brach und eine gewaltige Blutfontäne daraus hervorschoss. Der Riese wich jaulend zurück und verdeckte sich mit beiden Händen das Gesicht. Janick versuchte sich wieder aufzurichten, um von Neuem die Flucht zu ergreifen, doch er wurde von den anderen beiden Männern nunmehr ohne jede Rücksicht überwältigt. Sie rissen ihn gewaltsam hoch und drehten ihm so ruckartig die Arme auf den Rücken, dass Janick in glühendem Schmerz aufschrie. Sie nötigten ihn durch das Kontrolltor und stießen ihn zurück in die Empfangshalle. Sofort verstummte der Alarm und kurz darauf auch jene blasse Frau am Band. Von Wallenstein wartete in der Mitte der Halle mit einem schmalen Schiebebett und sah Janick abfällig an; der Therapeut wirkte immer noch mitgenommen und rieb sich mit zorniger Miene den wunden Hals.
»Legt ihn hin und schnallt ihn fest!«
Die beiden Männer stießen Janick nach vorn und hoben ihn auf das Bett. Er leistete zunächst noch stürmische Gegenwehr, fauchte, schrie und zappelte. Doch er sah schließlich ein, dass es zwecklos war. Die Männer drückten ihn mit dem Rücken voran auf die Matratze und banden seine Arme und Beine mit Lederschlaufen ans Bettgestell.
»Ihr wisst nicht, was ihr tut!«, rief Janick. »Ihr seid nicht bei Verstand! Es ist der Tee!«
Von Wallenstein trat neben das Bett und beugte sich mit betrübtem Blick über seinen ehemaligen Lieblingspatienten.
»Ach, Herr Baumgartner. Wie habe ich mich in Ihnen getäuscht. Wie viel Hoffnung gaben Sie mir und wie ernüchtert bin ich jetzt. Für ein Musterbeispiel der Regeneration habe ich Sie gehalten, für ein Vorbild aller Kranken, ja ich glaubte, Sie würden die Heilung in Rekordzeit erreichen und eine Bestmarke aufstellen, die ich noch in Jahren mit Stolz meinen Kollegen würde vorzeigen können.«
Von Wallenstein schüttelte enttäuscht den Kopf. »Doch nun offenbaren Sie eine Geisteserkrankung schlimmster Art, eine ausgeprägte Psychose mit fremdaggressiven Äußerungen« Der Therapeut zog seinen Kittel am Hals herab und deutete auf die rot verfärbte Haut. »Sehen Sie sich das an, Herr Baumgartner, das waren Sie! Kaum zu glauben, dass ich noch lebe, nachdem Sie mir derart brutal die Kehle zugedrückt haben. Schauen Sie, was Sie diesem Angestellten angetan haben – er blutet!«
Von Wallenstein blickte einfühlsam zu jenem Mann, der Janicks Tritt abbekommen hatte. Er betupfte seine Nase vorsichtig mit einem Taschentuch und keuchte vor Schmerzen; sein weißes Hemd war mit Blut besudelt.
»Schade, Herr Baumgartner, wirklich bedauerlich«, sagte von Wallenstein. »Sie werden nun doch länger als erwartet bei uns bleiben müssen, vielleicht über Jahre. Natürlich kann Ihr Aufenthalt fortan nicht mehr unter all den anderen Gästen statthaben. Es wäre unverantwortlich angesichts Ihres Gewaltpotenzials. Nein, für Fälle wie Sie haben wir einen speziellen Bereich in der Zweiten Abteilung eingerichtet, in sicherer Isolation von den anderen Patienten. Keine Bange, auch dort wird es Ihnen an nichts fehlen, Sie werden sehen.«
Janick kniff die Augen zusammen und spürte einen erstickenden Kloß im Hals. Es war, als begriffe er erst jetzt, dass seine Flucht gescheitert und sein Leben verwirkt war. Plötzlich dachte er nicht mehr an Judith oder an seinen Bruder; seine Gedanken kreisten nur noch um sein eigenes Schicksal und das Grauen, das ihm bevorstand. Janick brach in Tränen aus und bettelte darum, dass man ihn losbinde.
»Ihr seid nicht die, für die ihr euch haltet!«, rief er mit gebrochener Stimme. »Sie
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