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Die Heilanstalt (German Edition)

Die Heilanstalt (German Edition)

Titel: Die Heilanstalt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Geraedts
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versunken gewesen, hätte er die Männer wiedererkannt. Einen Moment lang standen sie reglos da und schienen abzuwägen, ob von Wallensteins per Funk durchgegebene Beschreibung auf jenen jungen Patienten zutraf. Auch Janick war schreckerstarrt stehen geblieben und sah mit großen Augen zu den kräftigen Männern. Dann begannen der Verfolgte und seine drei Verfolger gleichzeitig zu rennen, als hätte jemand mit einem Pistolenschuss das Kommando gegeben.
    Janick hastete zur Flügeltür, die in die Empfangshalle führte, und fürchtete einen schrecklichen Augenblick lang, sie könnte durch einen ferngesteuerten Sicherheitsmechanismus blockiert sein; doch die beiden Flügel gaben nach, als er ungestüm mit der Schulter gegen sie stieß, und schlugen krachend an die Wand.
    In der Empfangshalle vor dem Kontrolltor saß dieselbe bleiche und magere Frau, die Janick schon bei seiner Ankunft dort angetroffen hatte. Sie drehte schwerfällig den Kopf in Richtung der soeben aufgeflogenen Flügeltür, doch schien wenig bis gar nichts wahrzunehmen. Ihre Augen waren halb geschlossen, und ihr Gesicht zeigte nicht die geringste Spur von Lebendigkeit.
    »Was machen Sie da?«
    Ihre Stimme klang tonlos; die Frau war offenbar nur geringfügig an einer Antwort interessiert. Als sie merkte, dass Janick sie ignorierte, wandte die Frau den Blick wieder von ihm ab und starrte stattdessen benommen auf das stillstehende Laufband vor dem Durchleuchtungsgerät. Nachdem Janick sich aufgeregt in der Halle umgesehen und mögliche Gefahren ausgeschlossen hatte, richtete er den Blick auf die ewig abwärts laufende Rolltreppe. Sie hatte ihn von der Außenwelt hierher gebracht und würde ihn somit auch wieder dorthin zurückführen können. Er hörte die stampfenden Schritte der herannahenden Sicherheitsleute und spürte ihre Blicke im Nacken. Janick stürmte vorwärts, rannte geradewegs durch die Halle und behielt die Rolltreppe fest im Blick. Natürlich lief sie in die falsche Richtung, doch er würde die Oberfläche erreichen, selbst wenn er etliche Kilometer gegen abwärts rollende Stufen ankämpfen müsste.
    Janick lief durch das Kontrolltor – musste es tun, da sich rings umher ein eisernes Gitter erstreckte – und löste dabei den Alarm aus. Die rote Warnlampe über dem Tor begann aufgeregt zu blinken, und in derselben Frequenz heulte eine Sirene. Janick zuckte wie unter Strom zusammen, doch ließ sich nicht beirren und rannte mit versteinerter Miene weiter.
    »Alarm! Ein Ungeheilter verlässt die Anstalt!«
    Die monotone Stimme der Frau ging fast vollständig im Lärm der Sirene unter. Dennoch wiederholte sie die Warnung immerfort wie ein Tonbandgerät in der Endlosschleife.
    »Alarm! Ein Ungeheilter verlässt die Anstalt! Alarm! Ein Ungeheilter verlässt die Anstalt!«
    Janick geriet im Eifer des Gefechts ins Stolpern, verlor kurz die Balance und strauchelte, doch konnte einen Sturz verhindern und weiterlaufen. Er erreichte die Rolltreppe und hatte zunächst Schwierigkeiten, einen geeigneten Laufrhythmus für die entgegenkommenden Stufen zu finden. Wieder verlor er das Gleichgewicht, klammerte sich mit hängendem Oberkörper links und rechts an das Geländer und vergeudete kostbare Sekunden, indem er hilflos auf der Stelle trat. Panisch blickte er zurück und sah, dass die glatzköpfigen Männer soeben nacheinander das Tor durchquerten und sich ihm schnaufend näherten. Janick biss die Zähne aufeinander, konzentrierte sich und setzte den rechten Fuß endlich im richtigen Moment nach vorn, um den linken gleichermaßen stabil nachzuziehen. Seine Beine fanden Halt, und sein Oberkörper richtete sich wieder auf. Mühsam torkelte er die abwärts laufenden Stufen hinauf, wusste sich nicht recht daran zu gewöhnen, doch kämpfte sich Schritt für Schritt nach oben. Als er etwa zwanzig Meter zurückgelegt hatte, waren seine Beine bereits spürbar ermüdet. Dabei hatte Janick vielleicht erst ein Drittel des Weges geschafft, möglicherweise erst ein Zehntel. Keuchend blickte er hinauf und sah, dass die Rolltreppe hoch oben in völliger Finsternis verschwand; ein frostiger Wind wehte von dort herab. Janick war schweißgebadet und merkte, dass er immer träger wurde. Als er noch einmal über die Schulter blickte, sah er zu seiner Verwunderung, dass die drei breitschultrigen Männer ihm gar nicht folgten. Mit verschränkten Armen verweilten sie am Fuß der Treppe und lachten schadenfroh. Ein kaltes Grauen durchfuhr Janick, da er Schreckliches ahnte.

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