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Die Heilanstalt (German Edition)

Die Heilanstalt (German Edition)

Titel: Die Heilanstalt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Geraedts
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stieß scheppernd gegen das metallene Gestell. Gerade wollte von Wallenstein sein Gestammel aus Entschuldigungen und Erklärungen fortsetzen, als der Schatten ihm ins matt erleuchtete Zimmer folgte. Er erwies sich als ein älterer Herr im Anzug, der in bedeutender Geste einen Zeigefinger auf die Lippen legte. Von Wallenstein verstummte, während er sich mit beiden Händen ans Bettgestell klammerte.
    Janick spürte seine Eingeweide als glühende Drähte im Unterleib; zaghaft wandte er sich auf der Matratze, um am Therapeuten vorbeizuschauen und den Anzugträger näher in Augenschein zu nehmen. Er hatte ein hohlwangiges, bartloses Gesicht und eine faltige Stirn, über der lichtes, kurzes Haar ansetzte. Sein Mund war schmal, und die Lippen waren so blutleer und trocken wie die eines Sterbenden. In seinem Gesicht war nichts Rundes oder Stumpfes, nur eckige Furchen und tiefe Gräben, die eine sanfte Miene unmöglich machten. Sein Anzug, unter dessen Jackett ein Hemd mit Krawatte hervortrat, erinnerte Janick an die Bekleidung jenes Herrn, den er einst aus seinem Versteck vor dem Siedlungstor beobachtet hatte. Auch wenn sich darin – abgesehen von den roten Augen – jede Ähnlichkeit erschöpfte.
    Janick stellte fest, dass die Kälte nicht aus dem dunklen Flur ins Zimmer zog, sondern von dem Herrn abstrahlte, als wäre eine Eisschicht auf seinen Anzug aufgetragen. Er hatte sich so nah vor den Therapeuten gestellt, dass er ihm beinah auf die Füße trat, und seine roten Augen zu waagerechten Sicheln zusammengezogen.
    »Der Fluchtversuch des Patienten Mark Stornwald hat unserer Einrichtung erheblichen Schaden zugefügt, Herr von Wallenstein. Das Vertrauen der Gäste aus Abteilung Eins, die Zeugen dieses Vorfalls wurden, dürfte durch Ihr Verschulden nachhaltig gestört worden sein.«
    »Gewiss, ohne Zweifel!«, brachte der Therapeut hervor. »Bezüglich des Patienten Stornwald war ich offenbar zu voreilig, seine Heilung erschien mir greifbar nah, ein untröstliches Versehen, das mir bestimmt nicht erneut unterlaufen wird, soviel dürfen Sie mir glau…«
    Wieder hob der kältestrahlende Herr den Zeigefinger, um ihn auf die schmalen Lippen zu pressen. Der Therapeut schwieg augenblicklich und überließ seinem Gegenüber wieder das Wort.
    »Die Patientin Melanie Kahlbach bezog schon vor zwei Wochen eines unserer Zimmer und verzeichnete während dieser vergleichsweise langen Aufenthaltszeit nicht den geringsten Heilungsfortschritt. Ihr Geist blieb fest mit dem Leib verbunden, eine Erhöhung ihres Bewusstseins blieb vollständig aus. Wie sich kürzlich herausstellte, schlug sie unseren heilsamen Tee aus und trank stattdessen Leitungswasser in ihrem Zimmer sowie auf der öffentlichen Toilette. Auch diese junge Frau versuchte gestern nach dem Abendmahl ungeheilt zu fliehen und konnte nur durch einen glücklichen Umstand davon abgehalten werden. Sie befand sich bereits in den oberen Stockwerken und war im Begriff in die äußere Welt zu entkommen, als sie einem Mitglied des Sicherheitspersonals in die Arme lief, das sich zufälligerweise dort aufhielt.«
    Janick verzog wehmütig das Gesicht. Mit einem Mal hatte sich seine Hoffnung zerschlagen, dass Judith fliehen konnte.
    Der Herr im Anzug neigte sich so nah zum Therapeuten, dass ihre Nasenspitzen fast einander berührten. »So wie Herr Stornwald, oblag auch Frau Kahlbach Ihrer Aufsicht, Herr von Wallenstein. Wollen Sie mir glaubhaft beteuern, Sie hätten das Ausbleiben ihres Heilungsfortschritts ganze vierzehn Tage lang übersehen?«
    »Schier unerklärlich, in der Tat …«, gestand der Therapeut kleinlaut. »Doch seien Sie versichert, künftig werde ich meine Zwischenuntersuchungen gewissenhafter gestalten, um derartige Versäumnisse nicht noch einmal …«
    »Die jüngste Entgleisung Ihrer Diagnostik liegt hier vor uns«, fuhr der Mann fort und deutete auf Janick, ohne seine roten Augen vom Therapeuten abzuwenden. »Noch gestern priesen Sie Herrn Baumgartner uns gegenüber als Musterpatienten, der mit ungekanntem Eifer der Heilung entgegenstrebe. Heute Vormittag unternahm auch er einen Fluchtversuch und befindet sich in einem mentalen Zustand, der von einer Erhebung des Geistes kaum weiter entfernt sein könnte.«
    Von Wallensteins Knie zitterten. »Nun, wie ich vorhin schon ausführte, ist der Fall Baumgartner ganz sonderbar, ja sein plötzlicher Wandel gibt mir Rätsel auf. Doch für die Zukunft darf ich Ihnen versprechen …«
    Diesmal legte der Anzugträger den

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