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Die Heilanstalt (German Edition)

Die Heilanstalt (German Edition)

Titel: Die Heilanstalt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Geraedts
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Entladung schrie. Doch die Miene des Anzugträgers entspannte sich allmählich, bis sogar wieder ein kühles Lächeln auf seinen Lippen lag.
    »Du beschimpfst uns als Raubtiere, ohne unser ehrwürdiges Schaffen zu begreifen. Dein Urteil beruht auf blinder Wut und Unwissenheit. Unser Ziel ist schwer zu erfassen für einen Geist, der noch nicht reif ist, das Himmlische zu sehen. Eine Seele vermag sich in den engen Grenzen des Körpers nicht zu entfalten. Erst in der Schwerelosigkeit des Unendlichen öffnet sie die Augen. Der Ort, an dem wir wirken, ist wie die Sonne, die dem Auge schmerzt, das erst kürzlich aus dem Dunkeln kam. Unser Reich scheint dir noch zu hell, um seine wahre Schönheit zu erkennen.«
    »Was soll diese seltsame Ansprache?«, schrie Janick und rüttelte an den Lederschlaufen. »Warum tötest du mich nicht einfach?«
    Das Wesen sah Janick eindringlich an. »Steige zu uns auf!«, keifte es. »Dein Geist ist zu Höherem bestimmt, als im trüben Fluss der Zeit zu versinken. Lege die sterbliche Hülle ab und bereichere unseren ewigen Kosmos! Die Gedanken und Erinnerungen der Menschen sind häufig blass und mager, gezeichnet von Trauer, Furcht und Argwohn. Die meisten Seelen sind schwach und demütig, ohne Mut und Tatendrang. Ihnen fehlt es an Stärke und Willenskraft, wie auch dieser armseligen Kreatur …« Der Herr deutete abfällig auf den entseelten Leib von Wallensteins. »Du hingegen«, fuhr das Wesen ekstatisch fort. »Du gehörst zu den Mächtigsten deiner Rasse, die lieber im Kampf sterben als sich zu unterwerfen. Du bist ein Widerständler, dessen Herzblut stärker wallt als der Überlebenswille. Ein Geist von solcher Natur ließe unser Reich in hellstem Glanz erstrahlen. Überwinde die Vergänglichkeit des Leibes und werde Teil unserer zeitlosen Stätte. Es ist das erhabenste Erlebnis! Dich erwartet ein endloser Ozean der höchsten Gefühle, die je aus Menschenseelen hervorgingen, die schönsten Bilder, die je ein Auge erblickte, die herrlichsten Klänge, die je ein Ohr vernahm. Alles Stoffliche wird dir untertan sein und deine Träume in feste Formen wandeln. Ergreife unsere Hand, die wir dir aus der göttlichen Sphäre reichen, und erfahre in unserer Mitte ewiges Leben und endloses Glück!«
    Der Herr hielt inne und richtete seine blutroten Augen erwartungsvoll auf Janick. Doch dieser durchschaute die niederträchtige Absicht der Kreatur. Die Menschen waren für sie wie wildes Obst, das sie pflückten und schälten, um an die süße Frucht zu gelangen. Janick konnte nur erahnen, wie viele Galaxien diese Kreaturen durchstreifen mussten, ehe sie auf eine Lebensform gestoßen waren, die neben ihrer Biomasse einen hoch entwickelten Geist besaß. Der Mensch als duales Geschöpf von Körper und Seele war für sie eine reichhaltige Nahrungsquelle, die Erde eine Oase inmitten einer endlosen Wüste unverwertbarer Materie.
    Diese Wesen verschlangen die Gefühlswelten der Menschen wie Löwen das rohe Fleisch erlegter Zebras, verinnerlichten ihre Erinnerungen, um sie in einem überirdischen Reservoir wie ein Fettpolster anzusammeln. Dieses Reservoir war der Ort jenseits von Raum und Zeit, den sie als ihr hohes Reich anpriesen. Dort fand sich ihr gesamtes Diebesgut, das sich aus jahrzehntelangen Plünderungen menschlicher Innenwelten speiste und mit jedem Verzehr weiter anwuchs. Aus diesem Wissensspeicher schöpften die Kreaturen die notwendigen Kenntnisse, um eine Scheinwelt zu erschaffen, die den Menschen behagte – die Heilanstalt. Mit ihrem Magensaft benebelten sie die Sinne ihrer Opfer und umfingen ihren Geist wie ein Krake. Zugleich impften sie den Menschen durch die blaue Pille die Erinnerungen fremder Seelen ein, um ihren Argwohn zu vertreiben, der mit dem blockierten Gedächtnis einherging. In einem mehrwöchigen Prozess lösten sie den Geist vom Leib, um ihn als Nahrung zu gewinnen. Sie droschen die Menschen wie Getreide und trennten die Spreu vom Weizen. Sie ernteten ihre Seelenwelt und entsorgten den Leib als Schlachtabfall.
    Die Scheinwelt des Sanatoriums war so schön und angenehm im Vergleich zur Außenwelt und dem tristen Leben in den Siedlungen, dass die Menschen ihr bereitwillig verfielen. Sie nahmen die Lüge dankbar an und zogen lächelnd das Tor ihres eigenen Kerkers hinter sich ins Schloss. Die Kreaturen verfügten über die Erinnerungen abertausender Menschen und wussten daher, in welcher Lage diese das größte Vertrauen entwickelten: In der Krankheit. Wenn ihnen die Heilung

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