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Die Heilanstalt (German Edition)

Die Heilanstalt (German Edition)

Titel: Die Heilanstalt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Geraedts
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Bewusstsein über seine aussichtslose Lage.
    Die Bilder aus seinem Traum waren viele Jahre alt, doch sie zeigten immer noch mit bestechender Klarheit, was Janick damals als Kind gesehen hatte. Er erinnerte sich an die Angstschreie der alten Frau und wusste, dass er nun diesen Kreaturen ausgeliefert war.
    Janick hob die bleischweren Augenlider. Er befand sich in einem kleinen Raum voller schattenhafter Umrisse; die Luft war feucht und moderig wie in einem alten Kellerverlies. Janick wollte sich bewegen, doch seine Arme und Beine waren immer noch am Bett festgeschnallt. Ängstlich sah er sich in der Düsternis um, während hinter ihm jemand nervös hin und her wanderte.
    »Wer ist da? Wo bin ich?«
    Das Klackern der Schritte verstummte. Kurz darauf erschien an Janicks linker Seite ein hochgewachsener Schatten. »Herr Baumgartner! Sie sind schon wach, sehr schön!«
    Obwohl er leise sprach, erkannte Janick die Stimme von Wallensteins. Der Therapeut beugte sich zu ihm herab und flüsterte ihm ins Ohr: »Haben Sie noch Geduld, sie kommen gleich, ja sie kümmern sich höchstpersönlich um Ihr Wohl. Seien Sie froh und dankbar, es ist eine große Ehre, ja ein ganz hoher Besuch.«
    Von Wallenstein wollte offenbar fröhlich klingen, doch seine Stimme bebte. Er entfernte sich wieder vom Bett und schaltete eine von der Decke baumelnde Glühbirne ein, die so dick mit Staub überzogen war, dass sie nur mattes Licht ausstrahlte.
    Wie der Himmel der Außenwelt , dachte Janick und schluckte schwer.
    Die Gegenstände, die bislang nur Schatten gewesen waren, traten deutlicher hervor und ließen ansatzweise ihre Farben erkennen. Viel gab es in Janicks beschränktem Blickfeld nicht zu entdecken; vor einer maroden Backsteinwand erstreckte sich ein langer, schmaler Tisch, auf dem allerlei Gerümpel angesammelt war. Überwiegend handelte es sich um altes Werkzeug: Zangen, Schraubendreher, einen Hammer, eine kleine Kiste voller Nägel, eine Bohrmaschine und einige andere Gerätschaften. Die Sachen waren so verrostet und staubüberzogen, als wären sie vor vielen Menschenleben hier zurückgelassen worden. Eine gammelige Teekanne, hinter der einige Becher zu einem Turm verschachtelt waren, lag aufgeschraubt auf der Seite. Links neben dem Tisch befand sich eine verkratzte und zerbeulte Eisentür, von der eine unerklärliche Bedrohung ausging. Von Wallenstein wanderte weiter im Zimmer umher, fieberhaft und ruhelos, seine Schritte ein eiliges Klackern auf dem vielerorts zersprungenen Fliesenboden.
    »Ja, sie kommen«, raunte er immerzu. »Gleich sind sie da, oh, sie sind schon auf dem Weg, gleich, gleich.«
    Wer ist auf dem Weg hierher? , wollte Janick fragen. Wer sind sie?
    Aber er wusste es bereits.
    Janick überkam ein erstickendes Gefühl der Ausweglosigkeit, als hätte ihm jemand eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt.
    »Hören Sie zu, wir müssen hier weg!«, brachte er heiser hervor. »Sie werden uns umbringen, begreifen Sie das? Sie wollen uns töten! Ich flehe Sie an, binden Sie mich los!«
    Von Wallenstein schüttelte gutmütig den Kopf, während er weiterhin geschäftig das Bett umwanderte. »Ach, Herr Baumgartner, mitnichten. Sie wollen das Gegenteil! Schenken uns das ewige Leben, ja nehmen unsere Seelen in die unsterbliche Sphäre ihres Geistes auf, lassen uns in ihr Reich ein, das alle Zeiten überdauert, führen uns zu höchster Erlösung und Seligkeit. Dies ist die Heilung, verstehen Sie? Die Trennung des ewigen Geistes von seiner zerbrechlichen Hülle, die Überwindung der Vergänglichkeit, der Triumph über den Tod. Die Zeit zernagt unsere Körper bis zur Unkenntlichkeit; doch unser Wesen vermögen sie für immer zu bewahren!«
    Janick kniff verzweifelt die Augen zu und spürte sein Herz schwer und müde in der Brust, als wäre es sich seiner letzten Schläge gewahr. Dieser Mann war seine letzte Hoffnung, doch er war völlig versunken in den Illusionen des Tees, dieser vernebelnden Flüssigkeit, die kein Wunderheilmittel war, sondern ein berauschendes Gift aus den Schlünden der Kreaturen. Janick war nur für wenige Stunden in die Fänge des Rausches geraten und hatte bloß ein einziges Mal die blaue Pille geschluckt, die für die falschen Erinnerungen sorgte. Der Verstand dieses armen Kerls war hingegen bereits unumkehrbar zersetzt und völlig vom schönen Schein vereinnahmt. Für ihn gab es keine Rettung mehr, und somit auch nicht für Janick. Er rüttelte an den Lederschlaufen, wollte sie aus der Verankerung reißen und

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