Die Heilerin des Kaisers
seit dem Unfall auf seinen Gehstock angewiesen, hatte inzwischen seinem Sohn Dietwulf den Hof übergeben, denn dieser war überraschend in den Ehestand eingetreten, ohne mit der Feier auf die Rückkehr seiner Schwester Griseldis gewartet zu haben.
Obwohl sie Rottraut, seine Auserwählte, die aus einem Nachbarort stammte, noch nie besonders gut hatte leiden können, nahm sie es dem Bruder übel, dass er die Hochzeitsfeier ohne sie begangen hatte.
Fünf Tage hatte man gesungen, gegessen, getrunken, musiziert und getanzt – ohne sie. ›Anscheinend bin ich überflüssig, ja sogar lästig‹, dachte Griseldis traurig.
»Woher hätten wir wissen sollen, wie lange die Krankheit von Wiltrudis noch andauert?«, hatte Dietwulf nachlässig auf den leisen Vorwurf geantwortet.
Was sie aber jetzt noch mehr empörte, war die Tatsache, dass Dietwulf zusammen mit den Knechten den Eltern Frowein und Dietlinde ein eigenes kleines, ein wenig abseits stehendes Holzhaus errichtete, um im großen Gebäude mit seiner jungen Frau alleine leben zu können.
So etwas war absolut unüblich. Aber im Dorf erzählte man sich, die Braut hätte sich sonst geweigert, Dietwulf zum Mann zu nehmen. Auch Gertrud würde mit den Eltern ins kleinere Gebäude umgesiedelt werden.
»Für die kurze Zeit, die sie noch auf dem Hof ist, wird sie es bei ihrer kranken Mutter schon noch aushalten«, hatte die auffallend schöne und hoch gewachsene, mit einer Fülle rotbraunen Haares gesegnete Schwägerin der fassungslosen Griseldis eröffnet.
Die Heilerin war befremdet. »Was meinst du damit?«, fragte sie nach.
»GOTT im Himmel, Gertrud ist fast fünfzehn!«, rief die neue Herrin. »Bald wird sie heiraten und ihren eigenen Weg gehen. Du wirst ihr doch nicht wünschen, dass sie eine alte Jungfer wird, oder?«
»So wie ich eine bin mit meinen einundzwanzig Jahren, das wolltest du doch freundlicherweise damit sagen«, entgegnete Griseldis mit einer gewissen Schärfe.
»Das kannst du halten, wie du willst. Aber wie ich gehört habe, wirst auch du in Kürze Tannhofen den Rücken kehren, nicht wahr?« Fragend blickte Dietwulfs siebzehnjährige Ehefrau Rottraut der Schwägerin ins Gesicht.
»Ja, das werde ich. Dann habt ihr, du und dein Mann, das Haus unserer Eltern ganz für euch alleine. Dass ihr beiden euch nicht schämt, so mit Dietlinde und Frowein umzuspringen! Womit haben sie es verdient, von euch aus ihrem eigenen Haus hinausgeworfen zu werden?«
»Das ist allein die Entscheidung deines Bruders gewesen«, log dreist die Schwägerin, »damit hatte ich nichts zu tun.« Dabei musterte sie die um vier Jahre Altere mit kühlem, arrogantem Blick und spielte provozierend an dem großen Silberring mit den vielen Schlüsseln herum, der am Bund ihrer Schürze befestigt war. Vor nicht langer Zeit noch hatte Dietlinde ihn voll Stolz als Hausfrau getragen…
Griseldis wandte sich mit leisem Ekel ab, um ins kleine Nebenhaus zu gehen. Sie hatte beschlossen, ebenfalls dort zu schlafen, solange sie noch in Tannhofen wohnte.
Zusammen mit zwei Knechten hatte Griseldis ihren Eltern geholfen, ins kleine Gebäude umzuziehen. Die Mutter schien an dem Ganzen kaum Anteil zu nehmen, aber Froweins Gesicht war kalkweiß und wie versteinert gewesen.
Am nächsten Morgen dann hatte die Heilerin den Bruder ganz früh abgepasst, als er in den Stall zum Melken ging. Sie wusste von den Mägden, dass Rottraut gerne ein wenig länger schlief. Als Herrin auf einem Freibauernhof glaubte sie wohl, sich das erlauben zu dürfen, und noch nahm ihr Ehemann dies hin.
»Das war nicht recht von dir, Wulf, dass du Vater und Mutter gleichsam aus deinem Leben ausgesperrt hast!«, fuhr sie ihn an. »Sie werden allmählich alt und sich einsam fühlen in ihrem bescheidenen Häuschen. Warum hast du sie nicht bei dir behalten, wie es Sitte ist?«
»Rottraut wollte es so«, gab ihr Dietwulf, der neue Hofherr, kurz angebunden zur Antwort. Es war ihm deutlich anzumerken, dass er keine Debatte darüber zu führen beabsichtigte.
Als Griseldis angewidert schnaubte, fügte er hinzu:
»Sie wäre sonst nicht meine Frau geworden. Rottraut will ihre Schwiegermutter nicht ständig um sich haben. Du weißt doch, wie seltsam Mutter in letzter Zeit geworden ist. Nun ist Rottraut die alleinige Herrin auf dem Hof und hat im Haus allein das Sagen. So hat sie es sich gewünscht.«
»Ach, ja? Vielleicht wäre es besser gewesen, du hättest dein Weib da gelassen, wo es vorher war! Jeder im Dorf weiß doch, wie
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