Die Heilerin des Kaisers
für Herrn Heinrich schwierig war, als König gewählt zu werden, obwohl alles zu seinen Gunsten sprach, Vater«, erinnerte die Heilerin den Benediktiner. Und der ließ sich nicht lange bitten.
»Erzbischof, ich verstehe Euch nicht. Wie könnt Ihr gegen mich sein? Nach deutschem Erb-und Geblütsrecht bin ich doch ohne Frage der rechtmäßige Nachfolger Ottos. Dieses alte Recht darf nur in Ausnahmefällen übergangen werden.« Heinrich von Baiern war im Gesicht vor Ärger rot angelaufen. »Dass Otto von Kärnten, der ebenfalls mit dem Kaiser verwandt war, zu meinen Gunsten verzichtet hat, wisst Ihr bereits.«
Etwas, woran er im Traum nicht gedacht hatte, war eingetreten: Alle geistlichen Herren hatten sich, nur mit Ausnahme des Bischofs Siegfried von Augsburg, bereits auf einen anderen Nachfolger geeinigt und zeigten Heinrich nun die kalte Schulter.
»Ihr habt recht, was Ihr über das Geblütsrecht sagt, Herzog Heinrich«, erwiderte ihm der Kölner Erzbischof Heribert kühl, »aber das mag für Söhne und Enkel Geltung haben. Ihr dagegen seid ein recht weit entfernter Verwandter; und da wir schließlich alle durch Adam miteinander verwandt sind, kann genauso gut ein anderer Fürst König werden – zumal Euch der verstorbene Kaiser keineswegs als seinen Nachfolger designiert hat.«
Heinrich kochte regelrecht vor Wut, aber er beherrschte sich. Gerade während Ottos Leichenzug wollte er es nicht zum Streit kommen lassen. Er zügelte sein Pferd und ließ sich im Trauerzug zurückfallen, bis er ganz zum Schluss auf seine eigenen Gefolgsmannen traf.
»Welche Laus ist Euch über die Leber gekrochen, Herr?«, fragte ich besorgt, als ich des Herzogs verkniffenen Gesichtsausdrucks ansichtig wurde. »Ihr werdet doch nicht wieder von – Ihr wisst, was ich meine – befallen sein?«
Mein erzürnter Herr verzichtete jedoch darauf, diese Frage zu beantworten.
Die Lage war heikel. Durch die verfehlte Politik Ottos III. war der Zusammenhalt im Deutschen Reich in den letzten Jahren gefährdet, da der junge Herrscher sich kaum noch um die Sicherung der Grenzen gekümmert hatte.
Das Lebenswerk Karls des Großen stand vor dem endgültigen Zerfall. Ein direkter Abkömmling des letzten Herrschers war auch nicht vorhanden. So war ernsthaft die Frage aufgetaucht, ob sich der Reichsgedanke überhaupt noch lohnte. Wäre es nicht vernünftiger, wenn jeder Stamm wieder wie ehedem seiner eigenen Wege ginge und für sich selbst die Verantwortung trüge?
Aber das Streben nach Einheit des Reiches erwies sich letztlich doch als stärker. Die dringliche Frage lautete nun: Wer sollte König sein?
Die Herren im Trauerzug favorisierten mehrere Kandidaten: Da war einmal Herzog Hermann von Schwaben und Niederdothringen, ein Oheim unseres Herrn Heinrich, und ferner der Markgraf Ekkard von Meißen, Volksherzog von Thüringen, ein ehrgeiziger und fähiger Mann, der nicht unterschätzt werden durfte.
Herr Heinrich war sehr betroffen und fühlte sich zudem körperlich nicht wohl. Seine Blasensteine machten ihm in der Tat wieder zu schaffen und ich sah, wie er sich hinten an die Lende fasste. Aber seine Miene war so abweisend, dass ich es unterließ, den Herzog erneut darauf anzusprechen. Stattdessen zog ich es vor, im Stillen ein Vaterunser zu beten. Ein Anfall vor so vielen Zeugen würde mit Sicherheit das Aus für seine Pläne bedeuten.
KAPITEL 17
»A CH , UNSER ARMER H ERR «, sagte die Heilerin voll Mitgefühl. Wenn jemand wusste, wie sehr Heinrich an seinen Koliken litt, dann war sie es. Wie kam es, dass die hohen Herren so sehr an seinen Fähigkeiten zweifelten? Hatten sie nicht erkannt, dass Herzog Heinrich von Baiern der Beste war?
»Warum hat man denn den Leichnam des verstorbenen Kaisers aus Italien zu uns gebracht, wenn Otto doch für seine deutsche Heimat nichts übrig hatte?«, wollte Griseldis nach einer Weile wissen. Der Mönch freute sich über das Interesse der jungen Frau und erzählte weiter…
Der Sarg des jungen Kaisers war durch das Tal der Etsch den Eisack entlang, über den Brennerpass herauf auf baierischen Boden gebracht worden, da es der Wunsch Ottos gewesen war, in Aachen neben Kaiser Karl dem Großen bestattet zu werden. Herr Heribert war der Anführer des Trauerzuges, der auch die Reichsinsignien mit sich führte. Aber bis Aachen war noch ein weiter Weg. Die nächste Station würde die Stadt Augsburg sein, wo die Eingeweide des kaiserlichen Leichnams im Dom feierlich beigesetzt werden
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