Die Heilerin des Kaisers
Palastes.
In früheren Zeiten hatte man hier die Weinfässer aufbewahrt; heute befanden sich dort unten nur leer geräumte, feuchte Abteile, und, so hatte sie gehört, die Werkkammer der spanischen Hexe.
Griseldis war der vermummten Person auf Zehenspitzen lautlos durch den nur notdürftig erhellten Flur über die Treppe in den Keller gefolgt. Auf ein bestimmtes Klopfzeichen hin öffnete sich eine Pforte und die alte Spanierin stand im Türrahmen.
Die Heilerin wusste nun sicher, dass es Jungfer Irmintraut war, die zu dieser nächtlichen Stunde ihre Dienerin heimlich aufsuchte. Ohne ein Wort, aber mit einer tiefen Verbeugung hatte die Alte ihre Herrin empfangen. Griseldis ließ nur wenige Augenblicke verstreichen, dann folgte sie ihnen vorsichtig durch die offen stehende Tür. Weder die Alte noch die Base der Königin hatten es für nötig erachtet, den Zugang hinter sich zu verriegeln. Am Ende eines schmalen, dunklen Flurs öffnete Doña Maddalena eine weitere Pforte.
Sie nahm eine brennende Fackel von der Wand und schlurfte voran durch einen anderen dumpfigen Gang mit gewölbter Decke, eine schmale, feuchte Stiege hinunter zu einem noch tiefer gelegenen Kellerraum. Die Frauen durchschritten ein eisernes Gittertor, welches Maddalena dieses Mal jedoch hinter ihrer Herrin ins Schloss fallen ließ. Griseldis, die den beiden bisher geräuschlos hinterhergeschlichen war, kam nun nicht mehr weiter.
Aber das schadete nichts, denn der kleine, mit einer Rundbogendecke überwölbte, unverputzte Raum hinter dem Gitter war gut einsehbar.
Bis auf den Schein der Fackel, die die Alte in eine Wandhalterung gesteckt hatte, war es nahezu stockfinster. Die Luft hier roch modrig und Griseldis konnte ein merkwürdiges Rauschen hören. Anfangs war sie irritiert, doch dann machte sie es als die rasch dahinströmenden Fluten der Donau aus, die gleich hinter der dicken Steinmauer fließen musste.
Die Heilerin umfasste mit beiden Händen die Gitterstäbe der Absperrung und strengte ihre Augen an, um sich nichts in dem Gewölbe entgehen zu lassen. Sie fröstelte mittlerweile ganz empfindlich – hatte sie doch keine Zeit mehr gefunden, ihre Sukkenîe, ein mit Pelz gefüttertes Überkleid, anzulegen, das ihr hier unten gute Dienste hätte leisten können.
›Wahrscheinlich werde ich mir eine Erkältung holen‹, dachte Griseldis und hoffte inständig, nicht plötzlich einen Niesanfall zu erleiden.
Sie sah, wie die Spanierin – nur ein paar Meter von ihr entfernt – einen dunklen Samtvorhang beiseiteschob, der von der Decke des Raumes herabfiel.
Dahinter kam ein hüfthoher Sockel zum Vorschein und darauf stand eine Figur von etwa zwei Ellen Höhe.
»Nein, Herrin, kommt mit dem Feuer nicht zu nahe heran! Das Ding ist aus Wachs und könnte schmelzen«, wehrte die Alte ab, als Irmintraut Anstalten machte, nach der Fackel zu greifen, um sich das Gebilde genauer anzusehen.
Offensichtlich hatte nicht ein Künstler diese seltsame Figur geschaffen, das vermochte Griseldis trotz der Entfernung zu erkennen. Doch als größte Überraschung erwies sich, dass der unproportional große Kopf auf dem grob gekneteten, nackten weiblichen Rumpf eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Antlitz der Königin besaß! Griseldis erschrak furchtbar.
»Ist sie getauft?«, flüsterte Jungfer Irmintraut mit vor Erregung heiserer Stimme. Es waren die ersten Worte seit ihrer Begegnung, die sie an die Alte richtete.
»Vor fünf Tagen bereits, Herrin«, erwiderte die Zauberin, während sie die merkwürdige Wachspuppe von ihrem Sockel herunterhob und in ihren langen, mageren Fingern hin-und her drehte.
Jetzt konnte Griseldis erkennen, dass überall Nadeln und kleine Pfeile in der Figur steckten: im Kopf, im Rücken, den Armen und Beinen sowie im Herzen. Was hatte das zu bedeuten?
»Es hat lange gedauert, bis ich einen Priester gefunden habe, der sich dazu bereitfand«, sagte die Alte kichernd. »Es ist von der Kirche streng verboten, die Taufformel über einem Abbild zu sprechen. Aber vor fünf Tagen habe ich einen verlotterten Wandermönch aufgetrieben, der zugleich geweihter Priester war und sein Gewissen gegen eine entsprechende Summe immun gemacht hat.«
»Gut, aber wird dieser Mönch auch schweigen?« Leise Furcht schwang in Jungfer Irmintrauts Frage mit.
»Oh ja, das wird er, ganz gewiss«, gluckste die unheimliche Doña. »Er wird schweigen wie ein Grab«, fügte sie hämisch hinzu und wies bedeutungsschwer auf eine niedrige eiserne Tür in der
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