Die Heilerin des Kaisers
unter Übelkeit zu leiden und wenn ihr etwas Kummer bereitete, dann war es die lange Abwesenheit ihres Gemahls.
So fuhr Griseldis höchst alarmiert aus dem Schlaf hoch, als mitten in der Nacht Vater Berchtold in ihrer Kammer auftauchte und mit entsetzter Stimme ausrief: »Kommt schnell, mein Kind! Ich glaube, die Königin liegt im Sterben!«
Völlig überraschend hatte Frau Kunigunde eine Fehlgeburt erlitten. Der noch nicht lebensfähige Fötus war Anfang des sechsten Monats gekommen, aber die Nachgeburt blieb hartnäckig im Leib der Königin stecken. Sie verlor Unmengen an Blut.
Als Griseldis am Bett der Herrscherin stand, erschrak sie beinah zu Tode. Die strahlende junge Königin war ein bleiches Geschöpf mit eingefallenen Wangen, das mit riesigen, angstvoll geweiteten Augen auf die Heilerin starrte.
»Ich weiß, dass ich das nicht überleben werde«, flüsterte sie heiser.
»Oh, nein, Frau Kunigunde, Ihr werdet nicht sterben! Dafür werde ich sorgen«, widersprach Griseldis resolut. Sie war bemüht, Zuversicht zu verbreiten, die sie selbst keineswegs besaß. Kaum hatte sie einen Blick auf die scheinbar Todgeweihte geworfen, war ihr klar, dass bei diesem Abgang nachgeholfen worden war. Sie hegte auch einen Verdacht – nur beweisen würde sie es wohl nicht können.
»Wo ist Frau Irmintraut? Sie war doch gewiss zugegen, als das Schreckliche geschah?« Griseldis bemühte sich, möglichst unbefangen zu wirken. Eine ältere Dienerin meldete sich zu Wort: »Frau Irmintraut hat alles Menschenmögliche getan. Als sie aber erkennen musste, dass alles vergebens war, konnte sie den Anblick nicht mehr ertragen. Sie ist gegangen, um für die Seele ihrer lieben Schwester in der Hofkapelle zu beten.«
Vater Berchtold knirschte zornig mit seinen wenigen Zähnen und Griseldis lachte spöttisch auf.
»Anstatt an der Königin herumzupfuschen, hätte sie gleich nach mir schicken und nicht so lange warten sollen, bis der Blutverlust immens ist. Er schwächt Frau Kunigunde nur unnötig; und sie braucht doch ihre gesamte Kraft, um die Nachgeburt abzustoßen und um sich anschließend zu erholen.«
»Zu erholen, sagt Ihr?«, fragte die anwesende alte Amme, Frau Luitgard, verständnislos. Auch zwei jüngere Hofdamen, die nur hilflos herumstanden, schienen verblüfft.
»Was dachtet Ihr denn, meine Damen? Glaubt Ihr etwa, wir wollen König Heinrich, wenn er aus dem Krieg zurückkehrt, eine Trauermeldung überbringen? Es ist schon schlimm genug, dass das Kind nicht überlebt hat.«
Griseldis sah sich um und erfasste auf einen Blick, dass nicht nur der totgeborene Fötus, sondern sämtliche Arzneien aus dem Gemach der Königin entfernt worden waren. ›Seltsam‹, dachte sie. ›Wozu diese verdächtige Eile?‹
Dann fragte sie scharf in die Runde: »Wo sind Frau Irmintrauts Medizinen? Ich bin sicher, die Base unserer Herrin hat eine ganze Reihe davon zur Anwendung gebracht, um die Blutung zu stillen, nicht wahr?«
Nun, offensichtlich hatte Irmintraut alle Tinkturen fein säuberlich eingepackt, ehe sie, von Schmerz gebeutelt, den Raum hatte verlassen müssen, um die Seele ihrer geliebten Schwester GOTT, dem Barmherzigen, anzuvertrauen…
»Es stinkt geradezu zum Himmel«, murmelte der Benediktiner erzürnt. Er war froh, dass sich die Verwandte der Königin nicht in seiner Reichweite befand, denn er hatte das Gefühl, er könne im Augenblick für nichts garantieren.
Um Beherrschung bemüht setzte sich der alte Mann still in die am weitesten entfernte Ecke der Kemenate, aus Gründen der Schicklichkeit mit dem Rücken zum Bett. Er betete inbrünstig dafür, dass es Griseldis gelingen möge, die geschwächte Herrscherin vom Tor zur Ewigkeit zurückzuholen.
Die Möglichkeit, dass Kunigunde dieses Unglück nicht überlebte, war sehr wahrscheinlich – darüber bestand für Vater Berchtold kein Zweifel. Er hatte schon viele Menschen sterben sehen und das bleiche Antlitz der Herrscherin hatte ihn zutiefst schockiert.
Griseldis verlangte nach einem Krug heißen, zuvor abgekochten Wassers, um sich gründlich die Hände zu waschen – die alte Amme begriff dies hingegen nicht. Als Frau Luitgard darüber eine Diskussion mit der Heilerin beginnen wollte, bat Griseldis sie zwar höflich, aber sehr bestimmt, umgehend das königliche Gemach zu verlassen.
Die Frau protestierte, aber die sonst so sanfte Medica König Heinrichs fertigte sie barsch ab: »Die Zeit reicht nicht aus, Euch einen Vortrag über die notwendige Reinlichkeit zu halten
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