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Die Heilerin des Kaisers

Die Heilerin des Kaisers

Titel: Die Heilerin des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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berichtet.
    »Am Morgen kommt Bernhard gewöhnlich kaum aus den Federn«, klagte sie, »und die meiste Arbeit bleibt an mir hängen.«
    Von außergewöhnlichem Verlangen nach Met oder mit Honig gesüßtem Wasser erzählte sie und von ständigem Juckreiz auf der Haut: »Er kratzt sich an den Armen und Beinen oft so lange, bis das Blut kommt«, sprudelte es aus der jungen Bäuerin mit einem gewissen Ekel hervor. »Ständig muss er Wasser lassen und sobald er sich nur ein bisschen verletzt, heilt die Wunde lang nicht mehr zu.«
    Griseldis war damals ratlos gewesen. Dann hatte das Weib sie vertraulich am Arm genommen und ihr etwas ins Ohr geflüstert.
    Die Heilerin war erstaunt gewesen. »Ach, impotent ist dein Mann also auch? Und das mit fünfundzwanzig Jahren? Sehr seltsam.«
    Sie hätte später nicht zu sagen vermocht, was sie eigentlich genau dazu veranlasst hatte, einen Becher voll mit dem Urin des Kranken zu verlangen. Den wollte sie mit nach Hause nehmen und einige Tage stehen lassen – nur um zu beobachten, wie dieser sich möglicherweise veränderte.
    Solche Harnproben hatten ihr bereits hin und wieder geholfen, die richtige Diagnose zu stellen und das entsprechende Heilmittel zu finden. Was ihr das Verfahren allerdings diesmal zeigen sollte, war ihr selbst nicht klar. Viel zu verschwommen erschien ihr das Krankheitsbild des jungen Mannes; die Symptome waren noch dazu vollkommen unpassend für sein Lebensalter. Äußerst irritierend war auch sein gesundes, ja blühendes Aussehen. Dass er das Ganze nur simulierte, traute sie ihm keinesfalls zu. Wer fiel denn schon zum Spaß in Ohnmacht?
    »Meine Augen sind seit geraumer Zeit schlechter geworden«, hatte der wieder zu Bewusstsein gekommene Mann geklagt und Griseldis inspizierte sie, ohne das Geringste zu finden.
    Ein Tee, ein Stärkungsmittel und der vage Ratschlag, »sich zu schonen« – etwas, das bei der jungen Bäuerin sichtlichen Unmut hervorrief –, waren die einzigen Dinge gewesen, die Griseldis den beiden im Augenblick hatte geben können.
    Als Froweins Tochter dann mit dem Urinbecher in der Hand das Haus verlassen wollte, war sie an der Türschwelle gestolpert und hatte den Inhalt des kleinen Gefäßes auf dem Hof verschüttet.
    »Ach, wie ärgerlich«, hatte sie ausgerufen und die wenigen verbleibenden Tropfen im Becher betrachtet. Unwillkürlich hatte sie daran gerochen und dann ihr Gesicht verzogen. Irgendwie unangenehm süßlich erschien ihr der Harn des Kranken zu riechen und durchsetzt war er mit kleinen, weißen Flocken.
    Kein Zweifel, der Bauer war nicht gesund, aber was um CHRISTI willen fehlte ihm bloß?
    Griseldis hatte fieberhaft überlegt. Sollte sie umkehren und den Mann bitten, erneut den Becher zu benützen? Andererseits hatte sie wenig Zeit, denn ein Verletzter, der sich die Axt ins Bein gehauen hatte, erwartete sie am anderen Ende des Dorfes. Und so beschloss sie, es für heute dabei zu belassen.
    ›Vielleicht hilft ihm ja der Tee und die Stärkungstropfen aus Mistel und Weißdorn‹, dachte sie, als ihr Blick von einer merkwürdigen Begebenheit am Boden geradezu magisch angezogen wurde.
    In der kurzen Zeit, in der die Urinlache auf der festgetretenen Erde glänzte, war eine Schar von Ameisen wie durch Zauberhand aufgetaucht und stürzte sich nun geradezu auf die verschüttete Ausscheidung.
    Eine breite Ameisenstraße verlief von der vorderen Hausecke, wo diese Tierchen vermutlich ihren Bau hatten, zu der Schwelle, wo Griseldis den Becher versehentlich ausgekippt hatte. Die Ameisen saugten gierig an der Flüssigkeit. Was war das nur für eine Substanz, die im Wasser des kranken Bauern enthalten war?
    Dem süßlichen Geruch nach zu urteilen, vermutete die Heilerin Zucker – und zwar in einer solch hohen Konzentration, dass er imstande war, die Ameisen von weit her anzulocken. Der Lage der Dinge nach schien er auch verantwortlich zu sein für die ernsthaften Beschwerden des Mannes.
    Obwohl sie anderorts dringend erwartet wurde, machte Griseldis auf dem Absatz kehrt und befragte den Bauern und seine Frau über dessen Essgewohnheiten und ob dieser in der letzten Zeit an Gewicht zugenommen hätte.
    »Ja, Bernhard ist dicker geworden. Es fällt zwar nicht so auf, denn er war immer recht mager«, sagte die junge Bäuerin. »Am schlimmsten aber sind sein dauernder Durst und die Gier nach Süßem. Fleisch gibt es ja selten bei uns, aber das Kraut und die Rüben schaut er gar nimmer an. Ich soll ihm bloß noch süße Suppen und Mehlspeisen

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