Die Heilerin des Kaisers
mit Honig machen. Am liebsten tät er immerzu Kuchen essen. Aber den back ich nur zu Festtagen. Und dann stürzt er sich drauf, wie die Wespen auf das süße Zwetschgenmus.«
Dieses Verhalten war Griseldis von vielen alten Leuten bekannt. Aber bei denen hatte sie sich bisher weder über ihre Mattigkeit, über verminderte Sehkraft noch über offene Beine groß Gedanken gemacht. Sie hatte alles als zwar schlimme, aber altersbedingte Gebrechen eingestuft. Erst die Tatsache, dass ein noch junger Mensch darunter litt, hatte sie stutzig werden lassen.
»Lass in Zukunft das süße Zeug ganz weg und iss stattdessen Gemüse und wenn möglich ein wenig Fleisch, Bernhard«, riet Griseldis dem Bauern. »Wenn du Lust auf Süßes hast, iss lieber einen Apfel und lösch deinen Durst nicht mit Bier oder Met, sondern nur mit reinem Brunnenwasser oder dem Tee, den ich dir dagelassen habe. Ich verspreche dir, wenn du dich zehn bis zwölf Wochen eisern daran hältst, wird es dir bedeutend besser gehen.«
Als die Heilerin nach einem Vierteljahr wieder auf Bernhards Hof gekommen war, war ihr sein Weib bereits strahlend entgegengelaufen.
»Der Bauer ist ein neuer Mensch und gar nicht mehr matt und erschöpft. Er arbeitet jetzt wieder wie früher und«, dabei senkte sie vertraulich ihre Stimme, »er erweist sich auch nachts wieder als mein Mann und liegt nicht nur wie ein Toter neben mir im Bett.«
Bernhard, der grinsend aus dem Stall aufgetaucht war, zeigte Griseldis eine ehemals offene Stelle an seinem Bein, die sich vor Kurzem geschlossen hatte: Wo ein regelrechtes Loch im Fleisch gewesen war, sah man jetzt nur noch eine blasse, kreisrunde Narbe.
»Und so viel Durst hab ich auch nimmer. Und sehen tu ich wieder wie ein Luchs«, hatte er geprahlt.
»Das freut mich für dich, Bernhard. Mach weiter so und du wirst uralt werden – aber hüte dich vor Süßem. Anscheinend verträgt das dein Körper nicht so gut. Das hat alle deine Beschwerden verursacht.«
Seit dieser Erfahrung hatte Griseldis es sich angelegen sein lassen, Kranke immer nach ihrer Art der Ernährung und nach ihren Ausscheidungen zu befragen.
KAPITEL 39
I M F RÜHJAHR 1009 schickte sich der Königstross an, von der Pfalz zu Goslar aufzubrechen. Keines der Güter und keine der Städte war so wohlhabend, dass sie in der Lage gewesen wären, die vielen hundert Edlen samt Dienern, Rittern und Knechten, den Frauen und Kindern, den Mönchen und Priestern, den Schreibern, Handwerkern, Händlern und Sklaven länger als einige Monate zu verköstigen.
»So ein Hofstaat ist in der Tat wie die Heuschreckenplage aus der Bibel«, sagte Vater Berchtold. »Wenn er weiterzieht, hat er alles kahl gefressen.«
»Aber, aber«, meinte tadelnd Vater Odo zu seinem älteren Mitbruder, der seit Neuestem merklich gealtert und von Gliederschmerzen geplagt war. »Wir wollen doch nicht respektlos sein und Frau Kunigunde und ihre Damen als Heuschrecken bezeichnen, oder?«
Der Benediktinermönch Odo grinste dabei spitzbübisch; wusste er doch, wie sehr Berchtold die schöne Königin verehrte und dass in dessen Wertschätzung Heinrichs Gemahlin gleich nach der Jungfrau Maria kam…
»Die Königin gewiss nicht«, konterte Vater Berchtold prompt. »Aber bei ihrer Base, Frau Irmintraut, bin ich mir nicht sicher, zu welcher Gattung von Geschöpfen ich sie zählen muss. Einerseits ist sie zauberhaft wie ein bunter Schmetterling, lieblich wie ein Rehkitz, sanft wie ein Lamm und, was die Königin betrifft, fürsorglich wie eine Henne, die selbst gegen den Habicht ihr Küken verteidigt.
Und trotzdem werde ich bei ihr das Gefühl nicht los, dass sie nur auf eine Gelegenheit lauert, um ihre Krallen, ihren Skorpionsstachel und ihre Giftzähne einzusetzen gegen unsere Herrin, deren Schwester zu sein sie so überzeugend vorgibt.«
»Ihr verwirrt mich«, entgegnete der junge Mönch. »Ich dachte, Frau Irmintraut liebt ihre Herrin wie eine leibliche Schwester. Die Königin ist ihr jedenfalls zugetan in großer Liebe; beide Damen sind stets beisammen. Ich denke, Frau Kunigunde genießt die Gesellschaft ihrer Verwandten häufiger als die Gegenwart König Heinrichs.«
»Ich weiß«, sagte Vater Berchtold seufzend. »Der Herrscherin zuliebe hat Frau Irmintraut, wie sie selbst nicht müde wird zu behaupten, sogar auf eine Vermählung verzichtet. Sie spricht oft genug von diesem Opfer. Angeblich hat sie mehrere Heiratsanträge von hochgeborenen Herren ausgeschlagen, nur um sich für immer dem
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