Die Heilerin des Kaisers
erheblichen Teil seines Einflussbereichs abtreten müsste. Wozu sollte Heinrich vorzeitig schlafende Hunde wecken? Er will sich vorsorglich der Unterstützung des mächtigsten Erzbischofs im Lande versichern, nämlich derjenigen des Herrn Willigis von Mainz.«
Dieser war sofort bereit, dem König gegen den zu erwartenden Protest des Würzburger Bischofs beizustehen: »Auf mich könnt Ihr jederzeit zählen, Herr Heinrich. Ein solch gottgefälliges Werk muss man unterstützen gegen jede Art kleinlicher Bedenken, die möglicherweise aus purem Eigennutz vorgebracht werden.«
Es war Spätsommer im Jahr 1009 geworden und Meister Konrad, der in höchster Gunst bei seinem königlichen Auftraggeber stehende, begabte Baumeister, stand andächtig auf der Baustelle vor den mächtigen Mauern. Die riesige Kirche würde einst nicht nur das Städtchen Bamberg überragen, sondern weit ins umliegende fränkische Land hinein den wahren Glauben verkünden.
Noch war der Dom noch lange nicht vollendet, aber der Leiter der Dombauhütte war zuversichtlich, in etwa fünf bis zehn Jahren das sakrale Werk, das der König im Übrigen aus eigener Tasche bezahlte, mit GOTTES Hilfe abgeschlossen zu haben. Erst gestern hatte er mit seiner Frau, mit der er nun schon seit geraumer Zeit glücklich verheiratet war, darüber gesprochen: »Mit leidenschaftlicher Hingabe und wahrer Inbrunst sind alle an dem monumentalen Bau zugange: die Maurer, Steinmetze, Zimmerleute, Fensterbauer, Stuckateure, Steinhauer, sämtliche Arbeiter, welche die schwer beladenen Karren aus dem Steinbruch bis zur Baustelle geschafft haben, die Holzfäller, die die mächtigen Baumstämme geschlagen, zurechtgehauen und hierhergebracht haben, die Kalkbrenner und, und, und…«
Griseldis war bereits von den Patres Berchtold und Odo darüber belehrt worden, dass diese Männer von einem beinahe als mystisch zu bezeichnenden Gemeinschaftsgeist erfasst waren. Alle vollbrachten ihr Tagwerk in der Gewissheit, zur Ehre des Allerhöchsten ihre Kraft einzusetzen. Jeder von ihnen erwartete sich überdies dereinst reichlichen Lohn im Himmelreich.
»Wer von der Bevölkerung nicht in der Lage ist, körperlich mitzuarbeiten, spendet Geld, um das Bauvorhaben zu unterstützen«, hatte der Benediktiner der Heilerin erfreut mitgeteilt.
Meister Konrad strich liebkosend und beinahe so sanft wie über das blonde Haupt seiner Frau über das graue Mauerwerk. Fast vermeinte er dabei, jene ungeheure, jedem einzelnen Stein innewohnende Kraft zu spüren. Für ihn waren natürliche Felsbrocken ebenso wie behauene Steine durchaus nichts Lebloses. Mitunter glaubte er, der gewaltige Leib des bereits zu einem knappen Viertel fertiggestellten Gotteshauses vibriere unter seinen Fingerspitzen, wenn er seine Hände über die exakt eingepassten Quadersteine gleiten ließ.
Zu Anfang war der Mauerbau ein Leichtes gewesen. Da genügten einfache Gerüste mit schräg aufliegenden Holzplanken, über die seine Männer ihre mit Steinen vollgeladenen Schubkarren nach oben schoben. Aber durch den schnellen Baufortschritt hatte sich das geändert. Es wurden daher nach seinen Anweisungen hölzerne Drehkräne mit stabilen Winden gebaut.
Junge Männer kletterten jetzt hoch in den Holztrommeln, um das enorme Gewicht der Mauersteine mit Hilfe eines sich drehenden Rades nach oben zu hieven. Als sie Konrad sahen, strengten sie sich noch mehr an.
KAPITEL 45
D ER B AUMEISTER WUSSTE , das war Schwerstarbeit. Um sie sich ein wenig zu erleichtern, fielen Hunderte von Männern für gewöhnlich in einen rhythmischen Sprechgesang. So auch heute. Dadurch gelangten sie nach kurzer Zeit in eine Art Trance, die es ihnen ermöglichte, nicht vor Erschöpfung zusammenzubrechen.
Um die gestählten Bauarbeiter trotzdem nicht vorzeitig kreuzlahm zu machen, war Griseldis’ Ehemann auf folgende Idee verfallen:
»Verurteilte Schwerverbrecher sollten diese Schinderei übernehmen, Herr Heinrich«, hatte er dem König vorgeschlagen, als dieser wieder einmal zur Besichtigung vorbeigekommen war. Der Herrscher hatte sich sofort einverstanden gezeigt.
»Obwohl diese Arbeit äußerst beschwerlich und höchst gefährlich ist, habe ich es noch nie erlebt, dass einer dieser zum Tode Verurteilten das Angebot abgelehnt hätte«, sagte er stolz zu den Patres Berchtold und Odo, die ihn, wie seine Frau Griseldis und die Königin, gelegentlich auf der Baustelle aufsuchten.
»Im Gegenteil«, fügte er hinzu, »die Männer wissen, dass sie etwas
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