Die Heilerin des Kaisers
Nützliches und GOTT Wohlgefälliges machen und auf diese Weise der Todesstrafe entgehen können – falls sie diese Arbeit denn überleben sollten.«
Einer der beiden Türme des Gotteshauses stand kurz vor der Vollendung, war aber noch mit einem Gerüst umgeben; die Höhe des zweiten Turms hingegen betrug gerade mal sieben Meter. Am ersten waren noch einige kleinere Arbeiten am oberen, umlaufenden Gesims vorzunehmen, ehe der Dachstuhl aufgesetzt werden sollte.
Vier von Konrads Männern befanden sich im Augenblick in luftiger Höhe auf einer hölzernen Planke, die den viereckigen, wehrhaften Turm wie ein Balkon ohne Geländer umgab. Der Baumeister wusste, dass diese Männer absolut schwindelfrei sein mussten.
Bei den meisten am Dombau zu Bamberg beschäftigten Arbeitern handelte es sich nicht um unfreie Bauern, die man zum Frondienst gezwungen hatte, sondern um freie Landarbeiter, denen die halbe Löhnung von Maurern oder Steinmetzen noch genügend hoch dünkte, um zu dieser Baustelle zu kommen.
Meister Konrad hatte sich das ausbedungen. Mit Freien arbeitete es sich besser als mit den zur Fron gepressten Bauern, die bei der erstbesten Gelegenheit davonliefen. Zu Konrads Überraschung und des Königs Genugtuung und Freude erschienen seit Kurzem sogar Leute, die absolut unentgeltlich, nur für himmlischen Lohn also, Arbeiten am Dombau zu verrichten wünschten.
Dem Baumeister entrang sich ein amüsiertes Schmunzeln, als er nach oben blickte: Ein Turmfalkenpärchen hatte im Gemäuer ein Nest gebaut; die beiden Altvögel ärgerten sich lautstark darüber, dass die Männer sie beim Versorgen ihrer Brut störten. Mit weithin hörbarem Protestgeschrei umkreisten die Falken ihr Nest in luftiger Höhe, aber die Arbeiter ließen sich nicht vertreiben. Spontan beschloss Meister Konrad, zu ihnen hinaufzusteigen, um sich persönlich von Fortgang und Qualität ihrer Tätigkeit zu überzeugen.
Er betrat das Innere der Bauruine und war im Nu eine Leiter hochgeklettert, die gut verkeilt gegen eine mächtige achteckige Säule im Kircheninneren gelehnt war. Kurz verweilte er auf halber Höhe, wo eine Reihe von Fensteröffnungen mit Rundbogen das Tageslicht in den riesigen Raum einfallen lassen sollte.
Konrad wollte den Innenraum des Kirchenschiffs nicht allzu düster gestaltet wissen und hatte sich daher beim König für mehr Durchbrüche in den Mauerflächen als sonst üblich eingesetzt. Heinrich war der gleichen Meinung, dass eine Kirche keine Höhle sei, die den Menschen durch Dunkelheit erschrecken sollte.
Dann schwang Konrad sich auf das Sims, das auf gleicher Höhe mit der ersten Plattform des Gerüstes lag. Von hier aus lief er, nachdem er eine weitere Leiter erklommen hatte, flink wie eine Katze über das Dach des rechten Seitenschiffes.
Einige Handwerker riefen ihm eine scherzhafte Bemerkung zu, als er sich geschickt an ihnen vorbeidrückte. Flüchtig dachte er daran, dass ihn die meisten der hier Beschäftigen recht gut leiden konnten. Er war kein Menschenschinder – außer die Sache erforderte es unbedingt. Aber dann machte er es im Allgemeinen durch kleine Geschenke und besonderes Entgegenkommen an anderer Stelle wieder wett.
Und weiter stieg Griseldis’ Ehemann hinauf, nun im Inneren des rechten Turms, auf glatten Leitersprossen und über schmale Planken. Hier, aus der Nähe, waren die verschiedenen Zeichen der einzelnen Steinmetze gut zu erkennen, mit denen jeder einzelne Baustein des Gotteshauses markiert war. Diese Markierungen hatten für die Männer, die pro gesetzten Mauerstein bezahlt wurden, große Bedeutung. Darüber hinaus dienten diese individuellen Einritzungen der richtigen Platzierung der Steine, die er als Baumeister in seinem Plan exakt vorgegeben hatte.
Der monumentale Bau war nichts anderes als ein riesengroßes Zusammensetzspiel, wobei es auf die korrekte Lage jedes Einzelteils ankam, um die Stabilität des gesamten Bauwerks nicht zu gefährden.
›Die Verantwortung für die Planung trage ich ganz allein. Wenn ich mich einmal irren sollte, wären die Folgen dramatisch.‹ Seltsam, dass er ausgerechnet jetzt daran denken musste…
Dann tauchte vor seinem geistigen Auge sein betagter, penibler Lehrmeister, Meister Gandolf, auf, bei dem er in Würzburg viele Jahre in die Lehre gegangen war. Und von dem er alles, was er jetzt beherrschte, gelernt hatte. Meister Gandolf war ein Könner in der komplizierten Kunst des Kathedralenbaus gewesen und Konrad war dem bärbeißigen Alten heute noch
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