Die Heilerin des Sultans
Uludağ-Gebirges ließ Falks Herz höher
schlagen. Sie waren fast da! Beinahe ein halbes Jahr war vergangen,
seit er mit Bayezids Truppen aus Bursa in den Balkan aufgebrochen
war, und er konnte es kaum erwarten, Sapphira wiederzusehen. Die
Brust wurde ihm eng, als er daran zurückdachte, wie sie ihn
angesehen hatte, als er sich von ihr verabschiedet hatte. »Können
wir nicht vorher fliehen?«, hatte sie tränenerstickt
gefragt. Doch die Zeit hatte nicht ausgereicht, einen Kapitän zu
finden, geschweige denn eine Vereinbarung zu treffen. »Ich
gehöre nur zum Tross«, hatte er sie getröstet –
in der Hoffnung, dass diese Behauptung der Wahrheit entsprach. Denn
anders als Hans Schiltberger verspürte er keinerlei Verlangen
danach, für den Sultan zu kämpfen. »Du solltest es
mit einer der Huren treiben«, hatte Hans ihn aufgezogen, als
sie eines Tages die Pferde getränkt hatten. »Dann würdest
du dich nicht so für die schöne Heilerin verzehren.«
Er hatte meckernd gelacht und Falk auf die Schulter gedroschen. »Sieh
mich nicht so an, das war offensichtlich.« Noch immer zog sich
Falks Magen zusammen, wenn er an das Gespräch dachte. »Keine
Angst«, hatte Hans beteuert, »ich verrate dich nicht.«
Falk zügelte den zweiten Hengst des Sultans, als sich der Zug
vor ihm verlangsamte. Das hoffte er inständig. Denn wenn Hans
den Mund nicht halten konnte… Er brach den Gedanken ab, da sie
inzwischen den Palast erreicht hatten. Es dauerte Stunden, bis sich
Fußsoldaten, Kavallerie und die Wagen des Trosses sortiert
hatten; und als er endlich vor dem Stallgebäude aus dem Sattel
sprang, nahte der Abend. Ein kalter Wind fegte vom Gebirge über
das Land und am Horizont verkündeten Wolken einen nahenden
Regenguss. Wie im Jahr zuvor, hatte sich das üppige, grüne
Paradies des Sommers in eine triste, graue Umgebung verwandelt, die
es einem schwer machte, sich die Blütenpracht der wärmeren
Jahreszeit vorzustellen. Bis auf die Kriegselefanten wurden alle
Tiere in den Ställen untergebracht, sodass Kamele und Pferde
sich den Platz teilen mussten.
Nachdem
Falk Shaitan in
Empfang genommen hatte, glitt er aus dem Sattel seines Hengstes,
versorgte die beiden Tiere und ließ sich zwei Stunden später
erschöpft auf einen Strohsack sinken. »Hier«, sagte
Hans mit vollem Mund und warf ihm ein Stück Brot und etwas
Dörrfleisch zu. »Wer weiß, wann es etwas Richtiges
gibt.« Dankbar biss Falk in den Fladen und kaute hungrig. Hans
ließ einen Sack auf den Boden fallen, klemmte das Essen
zwischen die Zähne und zog die Abzeichen hervor, die er seinen
Feinden abgenommen hatte. Beinahe zwei Dutzend breitete er vor sich
aus. »Wenn man mich dafür nicht zum Ritter befördert,
weiß ich auch nicht, was ich noch tun soll«, sagte er mit
einem scharfen Unterton, den Falk zu deuten gelernt hatte. Noch immer
war der Landsmann neidisch auf seinen Posten als Bayezids
persönlicher Pferdeknecht. »Warum willst du unbedingt ein
Ritter des Sultans werden?«, fragte er deshalb. »Flieh
mit uns. Zu dritt haben wir mehr Aussicht auf Erfolg.« Hans
schnaubte und schob Silbernadeln, Federn und Stofffetzen hin und her,
als könne er sich nicht entscheiden, wie er die Siegeszeichen
anordnen sollte. »Warum redest du dir das ein?«, wollte
er wissen. »Glaube mir, es ist unmöglich. Du bist
verrückt, wenn du es versuchst.« Ein sehnsüchtiger
Ausdruck trat in seine grünen Augen, als er einen Moment ins
Leere starrte. »Denkst du, ich wollte meine Heimat nicht
wiedersehen?« Sein Adamsapfel hüpfte, als er trocken
schluckte. Doch dann verscheuchte er die trüben Gedanken und
griff nach einer blutigen Feder. »Habe ich dir schon erzählt,
wie ich diesen Gegner besiegt habe?« Mehr als einmal!, stöhnte
Falk innerlich. Laut sagte er: »Nein, lass hören.«
Er schaltete seine Ohren auf Durchzug, während Hans mit seinen
Heldentaten prahlte. Auch wenn ihm der Bayer mit seiner
Großmäuligkeit auf die Nerven fiel, gab ihm seine
Gegenwart ein vertrautes Gefühl. Wenn Hans um ihn war, war er
Ulm in Gedanken ein Stückchen näher. »Und dann habe
ich ihm mit einem einzigen Streich den Kopf abgeschlagen«,
endete sein Gegenüber.
Froh
darüber, nicht selbst in Kampfhandlungen verwickelt worden zu
sein, dachte Falk mit Grauen an die verwüsteten Dörfer und
verstümmelten Leichen zurück, an denen sie auf dem Rückweg
vorbeigekommen waren. Offensichtlich gingen Bayezids Provinztruppen
mit aller Härte gegen Aufständische vor, die sich
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