Die Heilerin des Sultans
doch nach
langem und erbittertem Kampf gelang es den Tataren schließlich,
ihn zu überwältigen. Wie einem gewöhnlichen Soldaten
banden sie ihm die Hände auf den Rücken und trieben ihn –
zusammen mit seinem Sohn Musa und mehreren seiner höchsten
Würdenträger – den Hügel hinab in Timurs Lager.
Genau um Mitternacht betrat er das Zelt seines Bezwingers, der sich
von der Schlacht erholte, indem er mit einem Jüngling Schach
spielte. Ohne von den eintretenden Männern Notiz zu nehmen,
beendete der Khan das Spiel, indem er den König seines Gegners
mattsetzte. Dann hob er den Kopf, kniff die Augen zusammen und fragte
mit dünner Stimme: »Ist er das?« Sein General sank
vor ihm auf die Knie und erwiderte: »Ja, Herr.«
Daraufhin
tastete Timur nach einem Stock und stemmte sich auf die Beine. Leicht
schwankend trat er auf Bayezid zu und betrachtete ihn neugierig. »Ihr
seid kein Krieger Gottes!«, spuckte der Sultan aus und reckte
hochmütig das Kinn, um auf den Kleineren hinabzusehen. »Ihr
habt das Blut zu vieler Gläubiger vergossen!« Timur zupfte
mit der Linken an einem dünnen, weißen Bart und erwiderte
gelassen: »Und dennoch hat Allah mir den Sieg geschenkt. Sagt
mir, warum hätte er das tun sollen, wenn ich ihn erzürnt
habe?« Bayezid spuckte vor dem Tataren aus, und dieser hielt
seine Männer mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung davon ab, die
Beleidigung zu ahnden. »Ihr seid anmaßend und
aufbrausend«, versetzte er beherrscht. »Im Gegensatz zu
Euch, bin ich kein Mann des Blutes. All meine Feinde haben ihr
Schicksal selbst über sich gebracht. Ich habe lediglich meine
Untertanen vor Übergriffen bewahrt.« Seine Stimme war
zittrig vom Alter, aber seine Worte waren scharf wie eine Klinge.
Bayezid wollte etwas erwidern, aber Timur kam ihm zuvor. »Bevor
ihr sterbt, werdet Ihr Demut lernen«, versprach er gefährlich
ruhig. An seine Soldaten gerichtet, sagte er: »Legt ihn in
Ketten und lasst einen Käfig für ihn zimmern. Ein Affe
gehört in einen Käfig!« Bevor die Männer Bayezid
ins Freie zerrten, setzte er genüsslich hinzu: »Bald schon
werdet Ihr dabei zusehen können, wie sich meine Generäle
mit Euren Frauen vergnügen.« Bayezids Wutschrei ging in
dem Gelächter der Tataren unter.
Kapitel 82
Bursa,
Sommer 1402
Nach
dreieinhalb Tagen brutalen Rittes erreichte Falk Bursa. Sowohl seine
Hände als auch die Innenseiten seiner Schenkel waren blutig
gescheuert, aber die Furcht, von den Tataren eingeholt zu werden,
hatte übermenschliche Kräfte in ihm freigesetzt. Wohingegen
die anderen Flüchtigen den direkten Weg zum Bosporus
eingeschlagen hatten, jagte er zum Palast, dessen äußere
Pforte unbewacht war. Dem Durcheinander in den Höfen nach zu
urteilen, hatte die schlechte Kunde die Stadt bereits erreicht, da
aufgescheuchte Eunuchen und Dienerinnen damit beschäftigt waren,
Wagen zu beladen. Ohne die teils verwunderten, teils furchtsamen
Blicke zu beachten, trabte Falk zu den Stallungen, wo er seinen
Hengst gegen ein frisches Tier eintauschte. Nachdem er zudem eine
zierliche Stute gesattelt hatte, brachte er noch zwei weitere
Vollblüter in die Sattelgasse und band alle vier Tiere an einem
Balken fest. Dann löschte er den brennenden Durst, tauchte den
erhitzten Kopf in einen Eimer kaltes Wasser und wischte sich den
nassen Schopf aus der Stirn, bevor er auf unsicheren Beinen zum
Hospital stolperte. Sobald er das flache Gebäude betreten hatte,
sah er sich suchend um, bis er Sapphira nach endlosen Sekunden am
Ende des Ganges entdeckte. Ihr Anblick ließ sein Herz
davonpreschen. Als spüre sie seine Anwesenheit, wirbelte sie zu
ihm herum und stieß einen erstickten Ruf aus, während ihr
ein kleines irdenes Gefäß aus der Hand glitt. »Sapphira!«,
presste er heiser hervor und flog auf sie zu. Ohne auf das Aufkeuchen
der erschrockenen Patientinnen zu achten, schloss er sie in die Arme
und drückte sie an sich, hielt sie fest, um sie nie wieder
loszulassen. Fast ein Jahr hatte er auf diesen Moment gewartet, sich
nach ihr verzehrt und jede freie Minute versucht, ihr Bild in seiner
Erinnerung heraufzubeschwören. Aber all der Kummer, all die
Sehnsucht der vergangenen Monate löste sich in nichts auf, als
sie sich an ihn klammerte wie eine Ertrinkende. Zitternd grub sie die
Finger in den Stoff seiner Jacke und hob den Kopf, um ihn anzusehen.
»Wir müssen auf der Stelle fliehen«, flüsterte
er und bedeckte jeden Zoll ihres Gesichtes mit Küssen. Als seine
Lippen die ihren fanden,
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