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Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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einrieben. Eine weitere Dame ruhte auf einem prächtigen
Diwan, den ein bemalter Wandschirm vor fremden Blicken schützen
sollte.
        »Hier
werden wir nur im Notfall gebraucht«, erläuterte die Hekime. »Das
ist das Reich der Ebe –
der Hebamme.« Sie legte eine kühle Hand auf Sapphiras
bloßen Arm und bugsierte sie an mehreren geschnitzten
Abtrennungen vorbei auf einen weiteren Raum zu. Dieser – hoch
und von einer Gewölbedecke überspannt – entlockte der
jungen Frau einen fassungslosen Laut. Verblüfft wanderte ihr
Blick die scheinbar endlosen Regalreihen entlang, auf denen sich die
unterschiedlichsten Dinge drängten: Sauber beschriftete und
gestapelte Tongefäße mit Senf, Ölen und Mohnsaft
wurden eingerahmt von Behältern voller Weidenrinde, Bilsenkraut,
Herbstzeitlosen und Kamillenblüten. Myrte und Moschus wurden
ergänzt durch Weidenblütenextrakt, Rosenwasser,
Weihrauchharz und eine Unzahl an Kräutern. Der leicht säuerliche
Geruch gedörrter Früchte wetteiferte mit den erstickenden
Ausdünstungen der zahllosen Salben und Sude, die auf mehreren
nebeneinanderliegenden Feuerstellen vor sich hin köchelten.
Kostbare Perlen zur Heilung von Leberleiden teilten sich den Platz
mit Seidenraupen, Biberhoden, Seemuscheln, Stinkwanzen und
getrockneten Fröschen. Heilmittel gegen Hämorrhoiden,
Verbrennungen und offene Wunden, sowie Arzneien gegen Haut-, Augen-
oder Magenerkrankungen waren ebenso vorhanden wie der kompliziert
herzustellende Theriak – ein Gemisch, das angeblich die meisten
Krankheiten heilen konnte. Der Größe nach angeordnete,
versteinerte Seeigelstacheln verrieten, dass die Hekime selbst so schwerwiegende
Leiden wie Nierensteine behandeln konnte. Ihre Scheu und Melancholie
wie weggewischt, näherte Sapphira sich einem formlosen Klumpen,
dessen Oberfläche sich zu bewegen schien. Je näher sie kam,
desto mehr kristallisierte sich ein penetrant süßlicher
Gestank aus dem Duftwirrwarr heraus; und als sie schließlich
erkannte, um was es sich handelte, schlug sie angeekelt die Hand vor
die Nase. Winzigen Reiskörnern gleich wimmelten weiße
Larven über ein halb verfaultes Stück Fleisch, um das
grünlich schillernde Fliegen summten. »Meisterin«,
hub sie entsetzt an und deutete auf das widerliche Schauspiel. »Nenn’
mich Tabibe. «
Die ausdrucksstarke Stimme erklang so dicht an ihrem Ohr, dass
Sapphira zusammenschrak. »Keine Angst«, klärte die
Ärztin ihre neue Helferin auf, »das sind nur unsere
Goldfliegen. Ohne sie wäre keine Heilung bei Wundbrand möglich.
Sie ernähren sich vom abgestorbenen Gewebe des Patienten.«
        Wenngleich
die Vorstellung, mit diesen Insekten besetzt zu werden, ihr Abscheu
bereitete, bewunderte Sapphira den Einfallsreichtum der Tabibe. Zwar hatte auch ihr
ehemaliger Herr über eine erstaunliche Arzneisammlung verfügt.
Doch diese Apotheke übertraf selbst ihre kühnsten
Vorstellungen. Forschend glitt ihr Blick weiter an den Wänden
entlang. Als er auf ein halbes Dutzend in feinstes Leder gebundener
Bücher fiel, streckte sie ohne nachzudenken die Hand nach dem
dicksten davon aus. Kaum wurde ihr allerdings klar, um was für
einen Schatz es sich dabei handelte, zuckte sie erschrocken zurück.
»Nur zu«, ermutigte die Tabibe sie und zog einen mit
goldenen Lettern beschrifteten Folianten hervor. »Kannst du
Latein lesen?«, fragte sie und hob anerkennend die Brauen, als
Sapphira nickte. » Methodi
medendi – Methoden des
Heilens«, murmelte das Mädchen und wog das schwere Buch in
den Händen. »Galen«, erwiderte die Tabibe. »Ohne sein Werk und den
Kanon der Medizin von Ibn Sina stünden wir noch am Anfang der
Heilkunst.« Sie deutete auf ein in dunkelrotes Leder gebundenes
Heftchen. »Und ohne Trotulas De
passionibus mulierum wüssten
wir nur halb so viel über die Leiden der Frau.«
»Trotula?«, fragte Sapphira verwundert. »Eine
Frau?« Die Ärztin lachte leise. »Oh, ja. Eine Frau.«
Ihr Zeigefinger strich über den narbigen Einband. »Sie ist
bereits seit über zweihundert Jahren tot. Aber durch diese weise
Frau aus Salerno sind uns viele Details über Damm- und
Kaiserschnitt überliefert.« Sapphira schwirrte der Kopf.
Entgegen des Liebesschmerzes, der sie noch vor Kurzem in
abgrundtiefes Unglück gestürzt hatte, fühlte sie wie
Neugier in ihr aufkeimte. Sollte das Leben doch noch nicht zu Ende
sein? »Du wirst sehr viel lernen müssen«, unterbrach
die Tabibe ihre
Gedanken. »Aber ich bin sicher, dass du der Herausforderung
gewachsen

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