Die Heilerin des Sultans
viel
bedeutete wie »Rosenblume« – Lügen. Obwohl
Sapphira vor Scham die Wangen brannten, dachte sie, dass die
Sultansmutter eher den Namen »Rosendorn« verdient hätte.
»Ihr sollt betören, verführen und entzücken«,
ging die Schimpfkanonade weiter. »Nicht abschrecken!« Sie
griff nach einem der durchsichtigen Tücher und trippelte
erstaunlich graziös vor den Mädchen auf und ab. »Drehung,
Hüftschwung, Fußarbeit«, schnaufte sie und befahl
der Lautenspielerin fortzufahren. Zu der Melodie, die Sapphira
bereits auswendig kannte, vollführte sie einen Tanz, bei dem die
Bewegungen des Bauches vollkommen mit denen der schlangenartig durch
die Luft zuckenden Arme übereinstimmten. Begleitet wurde die
Vorführung von dem kunstvoll-schüchternen Auf und Ab des
Kopfes und der mit Kohlestift hervorgehobenen Augen, sodass Sapphira
sich für einen winzigen Moment vorstellen konnte, wie die Valide als junge Frau gewirkt haben musste. Wenn sie doch nur ebenso
anmutig und geschmeidig sein könnte! Doch im Vergleich zu den
anderen Mädchen kam sie sich linkisch und ungeschickt vor,
beinahe als habe sie zu viele Zehen an den Füßen. Auch
wenn ihre Mitschülerinnen ebenfalls das Missfallen der
Sultansmutter auf sich gezogen hatten, gelang diesen wenigstens ab
und zu eine der für Sapphira kaum auszuführenden Drehungen,
bei denen sie sich bereits mehr als einmal in ihrem fließenden
Gewand verfangen hatte. Ich werde es niemals lernen, dachte sie
resigniert und wünschte sich ins Hospital zurück. Seit dem
Beginn der Tanzausbildung zu Beginn der Woche, ertappte sie sich
immer öfter dabei, wie sie sich danach sehnte, endlich den
Klauen der strengen Valide zu entkommen und zu ihren Pflichten
an der Seite der Tabibe zurückzukehren. Nach wie vor
beherrschte der Wunsch, den Sultan zu verzaubern, ihre Träume.
Doch schreckte sie die Unterweisung der mächtigsten aller
Hofdamen mehr und mehr ab. Nicht nur empfand sie all die Verrenkungen
und das Hin- und Hergehopse als lächerlich und wenig
verführerisch; sie bezweifelte auch ernsthaft, dass der
mächtigste Herrscher des Morgenlandes davon beeindruckt sein
würde. Sie verdrehte die Augen, als die Valide ihr ein
Zeichen gab, die Figuren nachzuahmen.
Wie
ein Storch hob sie ihre Füße, wölbte wie befohlen den
Spann und versuchte, sich vorzustellen, eine Gazelle zu sein. Die
ersten Schritte gelangen ihr auch überraschend gut, bis die
Lautenspielerin an Tempo zulegte und Sapphiras Arme hinter den Beinen
zurückblieben. »Oh, bei Allah «,
stöhnte die Sultansmutter, als das Mädchen in einem Haufen
aus Gliedern und Stoff zu Boden sank. »Ich weiß nicht,
warum ich mir überhaupt Mühe mit dir gebe. Geh mir aus den
Augen.« Als Sapphira sich mit gesenktem Kopf in Richtung
Korridor davonschleichen wollte, fügte sie bissig hinzu: »Als
ob der Kizlar Agha wüsste,
was den Sultan erfreut!« Trotz der Erniedrigung, wie eine
einfache Jariye davongejagt
zu werden, stieg heimliche Freude in Sapphira auf. Endlich wusste
sie, wer dafür verantwortlich zeichnete, dass sie ausgewählt
worden war, doch noch zur Konkubine ausgebildet zu werden. Denn das
hatte ihr die Feindseligkeit der Valide von Anfang an signalisiert:
Ihre Entscheidung war es ganz sicherlich nicht gewesen! Sie war
gerade durch den Ausgang geschlüpft, als plötzlich die
Musik abbrach und die unvermittelte Totenstille wie ein Schwert die
Luft durchschnitt. Einige Momente lang herrschte spannungsgeladenes
Schweigen, dann hörte sie wie die Valide heftig mit dem schwer
behängten Fuß aufstampfte und ein anklagendes »Du!«
hervorstieß. Entgegen der Strafe, die sie mit Sicherheit
erwarten würde, sollte sie beim Lauschen ertappt werden, presste
sie das Gesicht gegen den schmalen Spalt und versuchte,
hindurchzuschielen. Geräuschlos drückte sie die Tür
eine Winzigkeit weiter auf und erschrak zu Tode, als sie sah, wie die Valide die
Hand hob und der zarten Bülbül eine so furchtbare Ohrfeige
versetzte, dass diese zur Seite taumelte. Das andere halbe Dutzend
Mädchen wirkte wie zu Salzsäulen erstarrt. Als Sapphira den
weit aufgerissenen Augen ihrer Gefährtinnen folgte, entdeckte
sie eine funkelnde Spange am Boden unweit eines Diwans. »Du
bist es also, die mich bestiehlt«, spuckte die Sultansmutter
außer sich vor Wut aus und hob erneut die Hand. Der Schlag
hinterließ – wie der erste – ein flammendes Mal auf
der bleichen Wange der Beschuldigten, deren kornblumenblaue Augen
verständnislos von dem
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