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Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Schmuckstück zu ihrer Herrin
zuckten. »Ich habe nichts gestohlen«, flüsterte sie
flehend und fuhr zusammen, als die Valide einen weiteren Schritt auf
sie zu tat. »Zuerst habe ich es für einen Zufall
gehalten«, zischte die alte Frau, deren scharfe Nase mit einem
Mal wirkte wie eine tödliche Schneide. »Aber das erklärt
alles, du kleine Diebin.« Verzweifelt schluchzend sank das
schmächtige Mädchen vor ihrer Herrin auf die Knie und griff
nach dem Saum des Gewandes, um diesen an ihre Stirn zu pressen. Einen
Augenblick wirkte es, als wolle die Valide sie wie ein lästiges
Insekt zertreten, doch dann entriss sie ihr den Stoff mit einem
heftigen Ruck.
        Mit
wenigen Schritten war sie an der Tür, und hätte Sapphira
sich nicht im letzten Moment hinter eine der Säulen geflüchtet,
wäre die Sultansmutter über sie gestolpert. »Wache!«,
rief diese gellend. »Wache!« Der Ruf war noch nicht
verklungen, als zwei der Soldaten mit gezogenen Schwertern
herbeieilten und vor der Valide zum Stehen kamen. Diese wies mit kalter Miene in den Raum zurück
auf das Häufchen Elend am Boden und befahl knapp: »Sperrt
sie ein! Sie erhält drei Dutzend Rutenhiebe, dann schert sie und
verschenkt sie an einen Ziegenhirt!« »Neeeeein!«
Der lang gezogene, verzweifelte Schrei erschütterte Sapphira bis
ins Mark. Als die Wächter das schmächtige Mädchen grob
auf die Beine zerrten, kämpfte sie nur mühsam den Impuls
nieder, sich ihnen in den Weg zu stellen. Was nützte es, sich
selbst in Gefahr zu bringen?, dachte sie, während tief am Grunde
ihres Verstandes ein hässlicher Gedanke Gestalt annahm. Sollte
sie nicht eher froh sein, dass eine ihrer Rivalinnen aus dem Weg
geschafft war? Erschüttert über sich selbst duckte sie sich
weiter hinter die Säule und verfolgte, wie die Männer
Bülbül unter Schlägen den Gang entlangtrieben –
unberührt von dem mitleiderregenden Weinen ihrer zierlichen
Gefangenen. Reue stieg in ihr auf. Reue über den flüchtigen
Moment der Schwäche, in dem sie derjenigen, die die Schuld an
Bülbüls Unglück trug, in keinster Weise nachgestanden
war. Das Glück oder gar das Leben eines anderen Mädchens
für die eigenen Zwecke aufs Spiel zu setzen, war nicht nur
unwürdig, sondern eine solch gewaltige Sünde, dass dafür
alle Feuer der Hölle zu wenig Strafe waren. Plötzlich
kehrte die Furcht zurück. War es ihr nicht um ein Haar genauso
ergangen wie der Gefährtin? Was wäre wohl geschehen, wenn
die Valide das
goldene Band in Sapphiras Haar entdeckt hätte? Eine unsichtbare
Hand fuhr ihr in den Nacken, und sobald das Lautenspiel wieder
einsetzte, schlich sie hastig den Korridor entlang, hinaus ins Freie.
Sie musste einen Weg finden, die Valide von Bülbüls
Unschuld zu überzeugen, ohne sich selbst zu belasten. Vielleicht
konnte ihr die Tabibe einen
Rat geben. Denn die weise Heilerin war die einzige Frau im Harem, der Sapphira bedingungslos
vertraute. Aber sie musste auf der Hut sein! Machte der heutige
Vorfall nicht deutlich, dass eine der anderen Schülerinnen
hinter dieser Intrige stecken musste? Wie hätte es ihr sonst
gelingen sollen, erst Sapphira und dann Bülbül ein
Schmuckstück unterzuschieben? Allmählich verdrängte
der in ihr aufwallende Zorn die Angst. Warte nur!, dachte sie
grimmig. Ich werde dir das Handwerk legen. Und dann Gnade dir Gott!
        In
Gedanken versunken eilte sie über Kiesel und Steinplatten,
wischte an duftenden Büschen vorbei und schrak zusammen, als
eine blau gekleidete Hospitalhelferin auf sie zugeflogen kam.
»Sapphira! Dem Himmel sei Dank! Du musst sofort ins Darüssifa kommen. Der Hekim ist verwundet!« Damit
packte das Mädchen Sapphira am Ärmel ihres feinen Gewandes
und zog sie – ohne Rücksicht auf den Protest der Jüngeren
zu nehmen – den Weg entlang, direkt auf den Flügel des
Krankenhauses zu, in dem die verletzten Janitscharen behandelt
wurden. Die eigenen Probleme wurden augenblicklich von einem
übermächtigen Gefühl der Beklemmung verdrängt,
als sie hinter der Cariyesi in
den Teil des Hospitals stürmte, den sie bis jetzt noch nicht
betreten hatte. Beinahe greifbar hingen Angst, Schmerz und Tod in der
übel riechenden Luft, und als sie die Lager der zum Teil schwer
verwundeten Männer passierten, senkte Sapphira schamhaft und
bange zugleich die Lider. Die Furcht vor dem, was sie hier erwartete,
schnürte ihr die Kehle zu. Der metallische Gestank frischen
Blutes verdichtete sich, je tiefer sie in den lang gestreckten Raum
vordrang. Um

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