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Die Heilerin - Roman

Titel: Die Heilerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Angst.«
    Ich beugte mich zu ihr hinüber und nahm sie in die Arme. Armes Mädchen. Sie war gerade erst zehn. Sie hatte Talent, auch wenn sie es noch weitere zwei Jahre nicht würde einsetzen können. Aber es summte in ihr wie die Schwingungen einer Brücke, wenn die Soldaten darübermarschierten. »Schon gut, Enzie.«
    Sie schniefte und klammerte sich an mich. Ich rieb ihr in kleinen Kreisen den Rücken. Der Seidenmann beobachtete mich immer noch. Ich starrte ihm eisig entgegen, herausfordernd, auch wenn ich nicht hätte sagen können, welcher Art die Herausforderung war.
    Was immer er in meinem Blick sah, er gab nach. Er machte kehrt und ging davon. Ich drückte Enzie noch etwas mehr und fühlte mich plötzlich genauso verängstigt wie sie, ohne zu wissen, warum.
 
    Ich lief die vollen drei Meilen durch Geveg zu den Gärten, die, von Millies Mietshaus aus gesehen, auf der anderen Seite der Insel lagen. Die Gärten waren zwar öffentliches Gelände, lagen aber im Adelsbezirk. Gepuderte Frauen mit Perlen in ihrem schwarzen, hoch aufgetürmten Haar musterten mich finsteren Blickes, als ich auf das Tor zuging. Baseeri-Soldaten hielten vor allen vier Eingängen Wache und verscheuchten die Leute, die die Aristokraten hier nicht sehen wollten - was so ziemlich für jeden galt, der nicht aus Baseer stammte. Von Gesetzes wegen sollten sie das nicht tun, und manchmal konnte man sie überreden, wenn man sauber und gepflegt aussah und seine Bitte nicht nuschelnd vortrug, aber niemand betrat die Gärten mit einem Kleiderkorb. Das Kampieren war unter keinen Umständen erlaubt.
    Für ein geheimes Treffen hatte Tali sich einen lausigen Ort ausgesucht.
    Ich tunkte eine Socke ins Wasser und wusch mich, so gut ich eben konnte. Dann versteckte ich meinen Korb unter einem üppig belaubten Hibiskusbusch, nicht weit vom Osteingang entfernt. Sauber ? Einigermaßen. Gepflegt? Konnte man nicht behaupten. Aber wenigstens nuschelte ich nicht.
    Ein Soldat sah mich kommen. Ich schritt stetig aus, als ich mich ihm näherte, um damit deutlich zu machen, dass ich die Absicht hatte hineinzugehen, und das nicht zum ersten Mal.
    »Einen Augenblick, Fräulein.« Er trat vor und versperrte mit dem ausgestreckten Arm den Gehweg. Er erinnerte mich stark an einige der Bäume, die im Inneren der Gärten wuchsen: groß, breit, braun mit einem goldenen Kuddelmuddel obenauf. Ungewöhnlich, einem blonden Baseeri zu begegnen. Die meisten hatten glänzendes schwarzes Haar, das in der Sonne schimmerte wie die Schwingen eines Raben. Aber er hatte die spitze Nase und das Kinn der Baseeris. Vielleicht erinnerte er mich doch eher an einen Vogel als an einen Baum. Oder an einen Vogel auf einem Baum.
    »Ja?«
    »Was führt dich her?«
    »Ich treffe mich mit meiner Schwester.«
    Er musterte mich von oben bis unten, und in seinen dunklen Augen flackerte Misstrauen auf. Aber auch Nettigkeit, wenn ich sie mir nur zunutze machen konnte.
    »Sie hat heute Geburtstag.«
    »Ich glaube nicht...«
    »Unsere Eltern haben uns zu unserem Geburtstag immer hierher gebracht.« Die Wahrheit bahnte sich ihren eigenen Weg über meine Zunge, und ich konnte nicht aufhören zu reden. »Wir sind die Terrassen hinuntergegangen, und wenn der Wind passend geweht hat, war die ganze Brücke mit rosaroten Blüten bedeckt. Sie sind runtergefallen wie Regentropfen, und ihr Duft war so süß, dass es uns die Tränen in die Augen getrieben hat.« Meine tränten jetzt. An diese Geburtstagsausflüge hatte ich schon seit Jahren nicht mehr gedacht.
    Seine gestrenge Miene wurde ein wenig milder. Dann ließ er den Arm sinken und nickte. »Geh rein. Wünsch deiner Schwester einen schönen Geburtstag von mir.«
    »Danke, das mach ich.«
    Die Gärten hießen mich willkommen. Der kühle, grün gefärbte Schatten hielt den Rest der Stadt fern, und die Luft roch noch genauso, wie ich sie in Erinnerung hatte. Kein Blütenmeer heute, aber das Gras war so dicht wie ein flauschiger Teppich und weicher als jedes Bett, in dem ich seit einiger Zeit geschlafen hatte. Über mir erbebten Zweige, als Affen einander durch die Baumkronen jagten und dabei schrill und ekstatisch keiften. Ich ging durch ein braun gekröntes Gewölbe, und die Bäume flüsterten in einer Weise, die mir von jeher das Gefühl gegeben hatte, sie hätten mir ein Geheimnis zu erzählen. Aber dieses Mal war es Tali, die etwas zu berichten hatte.
    Sie wartete auf der rot geäderten Marmorbank unter dem großen Feigenbaum am Seeufer, ein heller Fleck

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