Die Heilerin - Roman
würde es nicht reichen. Nicht, wenn sein Vater so viele gebrochene Knochen hatte. »Schmerz, den du nimmst, heilt nicht so wie eine normale Verletzung. Er gehört nicht zu dir, er bleibt nur in deinem Körper. Hast du ihn genommen, brauchst du einen ausgebildeten Heiler, um ihn wieder loszuwerden.«
»Ich kann es schaffen, bis die Händler wieder Schmerz kaufen.«
»Nein, das kannst du nicht. Du hättest ebenso schlimme Schmerzen wie er jetzt. Musst du nicht auch arbeiten?« Nicht einmal gute Röster verdienten genug Geld, um eine ganze Familie durchzubringen. Nicht viele Stellen in Geveg brachten so viel ein - zumindest nicht die, die ein Geveger ergattern konnte.
»Dann nehmen wir alle einen Teil, ich und meine Brüder und meine Schwester. Es wäre doch in Ordnung, wenn wir den Schmerz ein bisschen verteilen, oder?«
»Es wäre furchtbar.« Mein Magen grollte angesichts der Vorstellung. »Das kann ich ihnen nicht antun.«
Flehentlich packte er meine Schultern. »Du musst. Wir können sonst nirgends hin, um eine Heilbehandlung zu bekommen. Wir haben nicht viel, aber wir können dich entlohnen. Etwas Essen, ein Platz, an dem du ein paar Tage bleiben kannst, wenn du eine Unterkunft benötigst.« Er musterte mich von oben bis unten und lächelte mit einer sonderbaren Mischung aus Hoffnung und Mitgefühl in den Augen. »Du siehst aus, als könntest du das brauchen.«
Mehr, als er ahnte.
»Ich kann nicht«, sagte ich. »Ich war da, bei der Fähre. Ich ... ich habe Leute aus dem See gezogen. Ich...« Wollte weinen. Wollte weglaufen. Wollte ja sagen und irgendwo im Trockenen schlafen. Scham senkte sich wie feuchte Kälte über mich. Hunderte waren heute Abend gestorben. Dachte ich ernsthaft daran, Kindern wehzutun, als Gegenleistung für ein Bett ? Wenn ich an so etwas denken konnte, dann konnte ich ebenso gut für die Schmerzhändler arbeiten, konnte im Dienste meiner eigenen Bequemlichkeit mit Schmerz Geschäfte machen. »Es tut mir leid. Ich kann dir nicht helfen.«
Er trat einen Schritt zurück und sah mich an, dieses Mal kritischen Blickes, streckte die Hand aus und hob einen schmerzenden Arm, dann den anderen. Sah mich bei jeder Bewegung zusammenzucken und mir auf die Lippe beißen. »Wie viel hast du aufgenommen ?«
»Genug. Mehr als genug.«
Mir war schon früher Verzweiflung begegnet, aber sie hatte nie so schlimm ausgesehen wie auf seinem Gesicht. Davon abgesehen hätte ich mich daran gewöhnen können, dieses Gesicht zu sehen. Schade, dass wir uns nur im Dunkeln trafen und jedes Mal bis zum Hals in unseren eigenen Problemen feststeckten. »Was, wenn wir diesen Schmerz auch nehmen würden?«
»Nein. Du verstehst einfach nicht, um was du mich da bittest.« Wieder verschränkte ich die Arme vor der Brust, bemüht, das bisschen Wärme und Selbstachtung zu wahren, das mir geblieben war. Aber nun, da mich der Schrecken nicht mehr wachhielt, zupfte die Müdigkeit an meinen Ärmeln. Ich musste einen Platz zum Schlafen finden; vorzugsweise irgendwo, wo mich niemand bat, Kindern Schmerz aufzuladen. »Es tut mir leid, wirklich. Ich hoffe ...«
»Gib mir etwas davon. Jetzt gleich.«
»Was?«
»Schmerz. Zeig mir, wie das ist, dann werde ich eine Entscheidung treffen.«
»Du bist verrückt.«
Er streckte die Hand aus. Sie zitterte nicht einmal. »Tu es einfach.«
Nein, nicht verrückt. Verzweifelt. Bereit, alles zu tun, um seinen Vater zu retten und mit ihm seine kleinen Brüder und seine kleine Schwester. Würde ich mich nicht genauso verrückt verhalten, wenn ich Tali retten müsste, weil sie in Schwierigkeiten geraten war?
Wenn ich ihm zeigte, wie es sich anfühlte, würde er seine Meinung ändern. Ich warf einen Blick auf die Gasse und die Straße. Ein paar Leute standen vor der Schenke und unterhielten sich, aber niemand war in unserer Nähe. Ich ergriff seine Hand und drückte.
Er schrie auf, und seine Hand flog an die Schläfe über seinem linken Auge. Stöhnend zog er die Finger wieder weg und starrte sie mit verblüffter Miene an. »Ich hatte mit Blut gerechnet.«
»An dem Mann, von dem ich diesen Schmerz herhabe, hat es davon genug gegeben.«
Danello atmete tief ein und langsam wieder aus. Dann nickte er. »Gut. Gib mir noch einen.«
»Nein!«
»Du brauchst ... ich weiß nicht ... Platz - um mehr Schmerz aufzunehmen, wenn du meinem Vater helfen willst.«
Der Junge war so verrückt wie ein Perlhuhn. Der Schmerz hätte die Sache beenden sollen. Er hätte dafür sorgen sollen, dass er begriff,
Weitere Kostenlose Bücher