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Die Heilerin - Roman

Titel: Die Heilerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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was für eine dumme Idee das war und dass man so etwas keinen Kindern antat, ganz gleich, wie verzweifelt man ist. Mich zu weigern war das einzig Richtige. Ich ergriff erneut seinen Arm und bereitete mich darauf vor, den Kopfschmerz wieder von ihm zu nehmen.
    Erinnerungen ließen mich innehalten. Ich war zehn, als unsere Eltern starben, Tali sieben. Das Waisenhaus hatte uns beide aufgenommen und uns später, als ich zwölf wurde, wieder rausgeworfen; denn nun war ich alt genug zum Arbeiten, und sie brauchten die Betten für jüngere Kinder. Tali hatte Angst, wollte nach Hause und konnte nicht recht verstehen, warum das nicht ging. Danellos Geschwister würden gar nicht erst als Waisen eingestuft werden, weil er alt genug war, für sie zu sorgen. Sie bekämen nicht einmal eine Chance auf ein echtes Bett oder eine warme Mahlzeit. Alle vier würden auf der Straße sitzen, sobald die Miete fällig wurde. So süß Danello war, so wusste er doch ganz sicher nicht, wie man es schafft, wie eine Flussratte zu leben.
    Er würde sehr schnell lernen müssen, oder sie würden alle sterben. Er würde zu der Art von Mensch werden müssen, die darüber nachdenkt, Kindern Schmerz zuzufügen, nur um in einem Bett zu schlafen. Zu jemandem wie mir.
    Ich gab ihm mehr Schmerz. Etwas im Arm, etwas im Bein, ein Stich in der Schulter. Nichts in den Händen oder dem Rücken. Nichts, das ihn vom Arbeiten abhalten würde.
    Danello krümmte sich, sog hörbar Luft ein und fiel rücklings an die nasse Holzwand des Hauses hinter ihm. »Es fühlt sich anders an als eine Verletzung.«
    »Der Körper hat Abwehrmöglichkeiten gegen Verletzungsschmerzen, aber den Schmerz eines anderen erkennt er nicht in dieser Form.«
    »Oh.« Ein weiterer tiefer Atemzug, und er stand wieder aufrecht, trotzte seinem Los. Wüsste ich nichts von dem Schmerz in ihm, ich hätte nicht erkannt, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Verrückt, ja, aber der Bursche hatte Eisen in den Knochen, so viel stand fest.
    »Besser?«, fragte ich.
    »Ja. Wie fühlst du dich?«
    »Wund, aber nicht schlimm.« Zumindest äußerlich. Innerlich? Wie eine Made auf einem toten Krokodil.
    »Gut genug, um meinem Vater zu helfen?«
    »Ich denke schon.« Es sei denn, er läge im Sterben. Sollte das der Fall sein, so würde es einzig und allein darauf hinauslaufen, dass ich Danellos Freundlichkeit und Güte ausnutzte, so wie Tali und ich bei meinen Heilungen die Gilde benutzten, um den Schmerz heimlich abzuleiten. Und, die Heiligen mögen mir beistehen, ich war nicht sicher, was schlimmer war!
 
    Danello wohnte in einem der besseren Mietshäuser am Marktdockkanal in einer Nachbarschaft, von der ich nur träumen konnte. Seine Familie hatte ganze drei Zimmer für sich allein - zwei Schlafzimmer, zu denen eine kleine Küche mit Essbereich gehörte. Obwohl man den weiblichen Einfluss noch immer sehen konnte, war es offenbar einige Zeit her, dass er hier gewirkt hatte. Zwei sterbende Topfpflanzen - vermutlich Koriander - standen auf einem Regal in der Nähe des Fensters. Die leicht vergilbten Vorhänge waren zur Seite gerafft und zwischen den Töpfen festgeklemmt. Eine Reihe von abgenutzten Kupferkesseln hing über einem kleinen Ofen, dessen dünnes Abzugsrohr an der Wand emporführte. Man hatte von hier aus sogar einen Ausblick, auch wenn der nur eine grasbewachsene Ecke des Marktplatzes offenbarte. Zwei Leute kauerten dort, eingehüllt in eine abgewetzte Decke, unter einem Gebüsch. Ich wandte den Blick ab.
    »Hast du sie gefunden?«, rief ein Junge und kam aus dem Zimmer auf der linken Seite gerannt. »Oh, sieht so aus.« Seine Lippen zuckten, als wüsste er nicht, ob er froh sein sollte, dass ich gekommen war, oder nicht.
    »Nya, das ist Jovan. Die anderen beiden sind bei unserem Vater.«
    Da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, winkte ich, und die kleinere Ausgabe von Danello winkte zurück. Die gleichen, ausdrucksvollen braunen Augen, das gleiche helle Haar, der gleiche entschlossene, wenngleich traurige Zug um das Kinn.
    »Paps ist bewusstlos«, sagte Jovan in dem gemessenen Ton eines Kindes, das sich sehr bemühte, erwachsen zu klingen. Bei allen Heiligen, er war noch so jung. Zu jung, um Schmerz zu leiden, der nicht sein eigener war. »Müssen wir ihn aufwecken?«
    Mein Magen tat einen Satz, aber ich schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Das geht auch, wenn er schläft.«
    Wir gingen in das hintere Schlafzimmer. Es war klein, aber behaglich. Blumenbilder, einige auf Holz, andere auf

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